Moni träumt vom großen Glück
Gelegenheit hatte ich nicht nach dem Preis gefragt, als ich die Blumen für Großvater Beckers letzte Ruhestätte bestellte.
Marc war über einen Monat lang fort. Ich fing langsam an, mich daran zu gewöhnen. Ich vermißte ihn ganz schrecklich. Jetzt war er in Köln. Er hatte mir zweimal ganz kurz geschrieben, das erstemal, daß er das Glück gehabt hätte, zum nächsten Semester an der dortigen Universität aufgenommen zu sein, und dann, daß er vorläufig einen guten Job gefunden hätte. Bis zum Semesteranfang arbeitete er als Privatchauffeur und hatte außer seinem Gehalt auch ein Zimmer und das Essen.
Mir blieb dann nichts anderes übrig, als weiter zu arbeiten für die Schule und an meiner Abschreibearbeit, und weiter zu sparen. Ja, mein Sparprogramm war eigentlich das, was mir half, was mich erfüllte. Da hatte ich ein Ziel. Ich hatte etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte. Irgendwie half es mir, über die schreckliche Sehnsucht nach Marc hinwegzukommen. Ja, ich kann es nicht anders nennen als Sehnsucht. Es war irgendwie auch eine hoffnungslose Sehnsucht; denn es war ja nicht die geringste Hoffnung vorhanden, daß Marc in absehbarer Zeit zurückkommen würde. Was sollte er auch in unserem kleinen Nest? Nur der Großvater hatte ihn darin festgehalten. Er hatte hier ja keine Existenzmöglichkeiten, und Studienmöglichkeiten erst recht nicht.
Aber, sagte ich mir selbst, einmal werden wir uns wiedersehen. Wir müssen uns treffen, und wenn ich nach Köln fahren müßte. Und fahren wollte ich in meinem eigenen kleinen Wagen, damit ich Marc einladen könnte zu schönen Autofahrten. Dieser Gedanke half mir, das Sparprogramm weiterzuführen und alle die Opfer auf mich zu nehmen, die es von mir verlangte. So machten z. B. meine Freundinnen Ski-Touren. Ich konnte nicht mit. Meine Skihose war endgültig zu klein geworden. Mutti hatte mir verboten, mich darin zu zeigen. Eine neue kaufen? Nein! Als ich den Preis hörte, schlug ich mir das gleich aus dem Kopf. Das wäre noch schöner, fünfzig – sechzig Mark auszugeben, um vielleicht zwei- oder dreimal eine Skitour zu machen. Kam nicht in Frage!
So wurde ich immer einsamer. Ich konnte so wenig von dem mitmachen, was meine Freundinnen vorhatten. Natürlich war ich selber daran schuld. Ich hätte ja das Sparen aufgeben können. Aber ich war trotzig. Ich war ein Starrkopf geworden. Ich wollte es durchführen, und wenn es mir manchmal schwerfiel, dann dachte ich an Marc. Wenn er es konnte, dann konnte ich es auch.
Es kam der Tag, an dem ich den letzten Punkt bei meiner Abschreibearbeit machte, alles noch einmal durchlas und die letzten Kapitel an Frau Peters schicke. Es kam der Tag, an dem ich das restliche Honorar bekam, und das war ein ganz großer Tag; denn an dem Tag wurde meine Sparsumme in dem Buch vierstellig. Ich besaß jetzt über tausend Mark. Nun wußte ich, ich würde das Ziel, das ich mir gesetzt hatte, erreichen. Das Schwierigste hatte ich schon hinter mir, aber es war mir klar, daß ich noch viel, viel Geld brauchte. Den Führerschein zu machen, das würde nicht das schlimmste werden. Außerdem hatte Mutti mir ja großzügig die ersten fünf Unterrichtsstunden geschenkt. Aber dann sollte der Wagen gekauft werden, und selbst wenn ich das Glück haben würde, einen gebrauchten Kleinwagen für zwölfhundert Mark zu kriegen, dann mußte der Wagen ja auch gehalten werden, er sollte gepflegt werden, dann kamen die Steuern, die Versicherungen – o ja, ich mußte noch ganz tapfer und eisern sparen!
Und so schuftete ich weiter. Ich hütete Babys und machte Besorgungen für die Nachbarn. In meinen wenigen freien Stunden flickte ich an meinen Kleidern herum, damit ich nichts Neues zu kaufen brauchte. Eines Morgens mußte ich ganz früh aufstehen. Ich hatte am Abend vorher meinen Rock gewaschen, den ich in der Schule tragen wollte, und den mußte ich bügeln. Das ging ruckzuck! Ich stand unten im Plättzimmer, und manchmal warf ich einen Blick in die Ecke, wo Marcs Sachen standen. So gingen meine Gedanken wie immer wieder zu ihm. Dann erinnerte mich die Kirchturmuhr daran, daß es höchste Zeit war. Ich nahm den Rock, zog mich in Windeseile um und stürzte zur Schule.
In der ersten Stunde hatten wir Physikunterricht. Unser Lehrer erzählte von Hitzeentwicklung – und plötzlich sprang ich auf:
„Entschuldigen Sie, Herr Studienrat, bitte, ich muß gleich nach Haus, ich habe das Plätteisen vergessen!“
„Ist es denn kein automatisches Eisen?“ fragte
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