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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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dem, was sich Specht ihm und nur ihm gegenüber herausnimmt, kommt ihre besondere Beziehung zum Ausdruck. Morgen schon wird Specht ihn wieder, für alle sichtbar, bevorzugen. Wahrscheinlich nimmt er nur ihn zum Gespräch mit Ägyptens Staatschef Mubarak mit, ganz sicher sogar. Wiener darf das Ergebnis dann unter seinem Namen verkaufen, und es hat gute Chancen, bundesweit zu laufen. So gesehen, ist er vielleicht viel gerissener, als wir alle denken, und schlägt noch aus Spechts Marotten Kapital. Jeder schaut, wo er bleibt – wie du selbst auch, mein Lieber …
    Dann schlief er ein, die Hand an der vergoldeten Armatur, und als er erwachte, fror ihn.
    In Kairo fanden die politischen Gespräche tatsächlich im kleinsten Kreise statt. Gundelach hatte ausgiebig Gelegenheit, den Suk, die Al Azhar-Moschee und die Zitadelle zu besichtigen. Auch die Unternehmer waren wenig beteiligt, manche reisten früher ab als geplant. Für Sight-seeing sei ihnen die Zeit zu schade, sagten sie, und außerdem wäre in Ägypten sowieso nichts zu holen. Wenn man das Marriot-Hotel verließ und durch die verstopften, staubigen oder von Wasserrohrbrüchen lehmig verschlammten Straßen fuhr, war man geneigt, ihnen zu glauben.
    Gundelach erschrak über die vielen bettelnden Blinden, deren Augen die Bilharziose in milchigweiße Flecken entstellt hatte. Schon bei Kindern konnte man die beginnende Krankheit erkennen. Sie drängten herbei, als Specht eine vollautomatische Fladenfabrik besichtigte, die ein Unternehmen des Landes mit Entwicklungshilfegeldern errichtet hatte, mitten in einem Elendsviertel.
    Ringsum starrte alles vor Schmutz. Doch die chromglänzende Anlage erfüllte höchste Hygieneanforderungen und verschweißte sogar die Fladen in luftdichte Folie. Auf Eselskarren wurden sie dann zur Verteilung abtransportiert. Sehr zum Ärger des stolzen Firmenvertreters, der die Führung organisiert hatte, war die Maschine allerdings an einer Stelle defekt. Zwei fröhliche Ägypterinnen hockten mit nackten Füßen auf dem Metallzylinder und schaufelten den Teig mit bloßen Händen in den nächsten Behälter. Bis zu den Ellenbogen tauchten sie in die Knetmasse und freuten sich über das unvermutete Glück, Arbeit gefunden zu haben.
    Es würde nicht lange währen. Noch an Ort und Stelle wurde der Firmeningenieur zusammengestaucht und beauftragt, schleunigst für das fehlende Ersatzteil zu sorgen.
    Zum Abschluß besuchten sie Luxor und die Pyramiden, das Tal der Könige und den Tempel der Hatschepsut. Zu den Pyramiden fuhren sie nachts, um dem Lärm der touristischen Film- und Musikanimation zu entgehen.
    Wie Gebirge erhoben sich die Pyramiden und stießen mit ihrer Spitze an einen mondbeglänzten Himmel, der sich ihnen als ebenbürtige Geschwister distanzlos zuneigte. Gottheiten unter sich, ungeheuerlich entrückt, äonenlang schweigend, das Schattennetz der Ewigkeit mit mathematischer Präzision auswerfend.
    Vergiß das nie, dachte Gundelach, der sich von der Gruppe entfernt hatte und am Cheopsberg hinaufsah, bis er glaubte, von ihm erschlagen zu werden. Vergiß das nie. Das ist das Absolute. Die Vereinigung von Macht und Kunst, Materie und Geist, bis zur Selbstauflösung. Es gibt Fenster zur Transzendenz. Das hier ist eins.
    Das dachte er noch, als er den anderen zur Einnahme des Nachtessens ins berühmte, den Stil der Kolonialzeit pflegende Restaurant Mena-House folgte. Und selbst die Rückkehr nach Kairo und das Eintauchen ins tosende, stinkende Elend des Molochs konnte die Erinnerung an den Zipfel Göttlichkeit, den er ertastet hatte, nicht auslöschen.
    Neuerdings begehrten Spechts Kinder Rolf und Christina Flaschen- statt Tütenmilch für ihr morgendliches Müsli, der Umwelt wegen.
    Das war ein deutliches Signal.
    Specht berichtete dem Kabinett des öfteren von häuslichen Diskussionen, denen er die politische Korrektivfunktion eines unverbrauchten Menschenverstands beimaß, der dadurch immer noch, stellvertretend für Millionen, zu ihm vordrang, wie hoch er mittlerweile auch gestiegen sein mochte. Auch mit dem schieren Wirtschaftswachstum konnten die Kinder nichts mehr anfangen. Ketzerisch fragten sie, wozu jährliche Steigerungen des Bruttosozialprodukts denn gut sein sollten. Die Antwort: für mehr Konsum! befriedige sie keineswegs, berichtete Specht stolz.
    Die Kabinettsmitglieder nickten nachdenklich. Ja, es war einiges im Wandel! Ein Oskar Specht konnte seinen Kindern die komplizierten Zusammenhänge ja noch kompetent erläutern, so daß

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