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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Gundelach anvertraute, als eng und kleinkariert, und nahm die Politik und deren Repräsentanten davon keineswegs aus.
    Fortan entwickelten sich die Dinge immer schneller und entschiedener auseinander. Daß die Landes-CDU bei der Bundestagswahl vom 29. Januar 1987 auf 46 Prozent absackte und alle Welt bereits über das bevorstehende Ende seiner Alleinregierung spekulierte, schien Specht gerade jenen Kampfeswillen wiederzugeben, der an ihm zuletzt so schmerzlich vermißt worden war. Er verschärfte die Tonart seiner Angriffe gegen Bonn und lehnte alle Anbiederungen der FDP, die sich bereits als künftiger Koalitionspartner wähnte, brüsk ab. Im Mai entzog er dem unglücklichen Reiser kurzerhand einen Teil seiner Zuständigkeiten und schuf ein neues Umweltministerium, zu dessen Leiter er einen ehrgeizigen Oberbürgermeister berief. Das war zwar ungerecht, aber wirkungsvoll. Die Regionalbereisungen absolvierte er exakt und diszipliniert. Seine Auslandsaufenthalte konzentrierten sich auf europäische Nachbarländer und machten wirtschaftspolitisch Sinn.
    Mit Verwunderung und Sympathie vermerkte die Presse, Specht habe die Lust am Landespolitischen wiedergefunden.
    Wiener dagegen schlingerte. Er wußte – jeder Tag zeigte es ihm deutlicher –, daß er den dominierenden Einfluß auf Specht endgültig verloren hatte. Auch nach außen ließ es sich nicht mehr verheimlichen. Wolfgang Bönnheim stieg in den engsten Beraterkreis auf und führte, unbekümmert um ministerielle Kompetenzen, kulturpolitische Verhandlungen, vom Erwerb zeitgenössischer Kunstsammlungen bis zum Bau einer Theaterakademie. Nach Moskau und Leningrad flog er als Spechts Sonderbeauftragter und verabredete Gastspielreisen und ›Joint Cultures‹.
    Seine Begabung, Spechts technologisches Lieblingsvokabular bruchlos ins Bühnenfach zu transponieren, war beängstigend groß. Selbst in der Fähigkeit zur Plakation hatte Wiener jetzt einen Ebenbürtigen gefunden. Nirgends war er mehr unersetzlich. Ohne das Bewußtsein aber, einem anderen so zu Diensten sein zu können, daß aus der eigenen Aufopferung eine exklusive Abhängigkeit des Größeren resultierte, schien seine Identität zerbrechlich wie Glas. Fehlte diese Zweierbeziehung, in der sich seine Psyche sogar noch im Leiden an der Gewißheit einer symbiotischen Schicksalsgemeinschaft aufrichten konnte, lagen seine besten Talente brach. Denn Wieners besondere Gabe war nicht, etwas Außergewöhnliches zu können, sondern es zu sein: das kleine Ebenbild eines großen Gegenüber. Entzog sich der, traf es ihn, den Zulebenden und nicht bloß Zuarbeitenden, ins Mark.
    Das war ihm jetzt geschehen. Immer öfter saß er in seinem Eckzimmer, das mit einer schwarzrotgoldenen Fahne pathetisch drapiert war, und wartete vergebens darauf, gerufen zu werden. Weniger als zehn Meter Entfernung trennten ihn von Spechts Arbeitszimmer. Aber der Abstand zwischen ihnen wuchs mit der Schnelligkeit eines vorbeibrausenden Zuges, der das am Rande liegende Bahnwärterhäuschen hinter sich läßt.
    Irgendwann im Frühjahr entschloß er sich, ein Landtagsmandat anzustreben. Es war der letzte, verzweifelte Versuch, Specht an seine Seite zu zwingen. Als Mitglied der CDU-Fraktion hätte er mehr politisches Gewicht besessen und Specht vor die Alternative stellen können, entweder weiter mit ihm zu regieren oder aber einen gefährlich gut informierten Gegenspieler im Parlament fürchten zu müssen.
    Specht tat nichts, um Wieners Kandidatur zu stützen. Schweigend, die Lippen zusammengepreßt und die bleiche Stirn gekerbt, ließ er den Freund in eine Falle laufen, die er nicht gebaut hatte, zu deren Beseitigung er aber ebensowenig beitrug. Er sah zu, wie sich Wiener, der in der Provinz dank seiner Position noch leidlich gute Chancen für eine Nominierung besessen hätte, in der Landeshauptstadt bewarb – und einbrach. Ein unbekannter Wirtschaftsprüfer schlug ihn haushoch. Die urbane Parteibasis will entweder den Ersten oder einen Hoffnungsträger – aber keinen, dessen Vollmacht nur abgeleitet ist.
    Keinen Finger hat Specht für mich gerührt, brach es aus Wiener heraus, als Gundelach ihn nach der Schlappe aufsuchte. Er wirkte aufgelöst und gealtert. Dem Jüngeren fiel sowenig Tröstendes ein wie bei einem Kondolenzbesuch.
    Keinen Finger … wiederholte er. Zum ersten Mal in fünfzehn Jahren hätte er wirklich etwas für mich tun können. Nichts. Absolut nichts … Es kotzt mich an.
    Das ist allein Toms Angelegenheit, bedeutete Specht

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