Monrepos oder die Kaelte der Macht
Wieners Diktion war in der Berichterstattung unverkennbar. Das glaubten die Journalisten ihrem langjährigen Duzkumpel, auch wenn sie ihn zuletzt eher bemitleidet als bewundert hatten, schuldig zu sein.
Specht reagierte zunächst nicht. Im Haus wagte niemand, ihn auf die Nachfolge anzusprechen. In der Gerüchteküche aber brodelte es. Auch die Medien ergingen sich in Spekulationen, und immer rangierte Gundelach, der Chef-Ghostwriter, der politische Berater, unter den engsten Anwärtern.
Sein Name tauchte jetzt des öfteren auf, er wurde zeilenweise öffentlich.
Gundelach las die Berichte mit einer merkwürdigen, ihm selbst nicht ganz erklärlichen Distanz. Vielleicht wollte er sich davor schützen, enttäuscht zu sein, wenn Spechts Wahl auf einen anderen fiel? Eigentlich rechnete er nicht damit, berufen zu werden. Warum gerade er? Karrieren, von denen man in der Zeitung las, waren immer fremde Karrieren, Lebensläufe Dritter, für die eigene Person ohne Belang. Die Vorstellung, es könnte nun gegen alle Regel ihn selbst betreffen, hatte etwas Irreales.
Und außerdem wußte er nicht, wie Heike eine solche Entscheidung aufnehmen würde. In letzter Zeit sprach sie nicht mehr viel mit ihm. Gerade war sie mit dem Zug nach Hamburg gefahren, wo sie eine Woche in ihrer Uhlenhorster Wohnung verbringen wollte. Benny war dabei, er hatte Herbstferien.
Gundelach vermißte seine Frau und seinen Sohn. Er lag nachts wach und fühlte sich elend. Aber er wußte, daß er auch nach ihrer Rückkehr die richtigen Worte für seine Gefühle nicht finden würde. Eisbrecher-Worte hätte er gebraucht, doch die standen ihm nicht zur Verfügung.
Bücher, dachte er bitter, kannst du schreiben, aber eine einfache Bitte kriegst du nicht hin. Sowenig wie Specht es gegenüber Wiener vermocht hat … Vielleicht habe ich inzwischen viel mehr von Specht übernommen als ich weiß, und merke es gar nicht mehr. Wenn ich dann noch sein Sprecher würde, stünde für Heike wohl endgültig fest, daß mir an ihr nichts mehr liegt. Wenigstens das muß ich vermeiden, nahm er sich vor. Und wünschte sich, erst gar nicht in diesen Erklärungszwang zu geraten.
Nachts wünschte er sich das. Nachts spielte er auch mit seinem Sohn und half ihm bei den Hausaufgaben. Nachts, wenn er allein lag, nahm er seine Frau in den Arm.
Anfang November bat Specht Gundelach, ihn nach Bonn zu begleiten. Der Anlaß – Bundesratssitzung, abends Treffen mit der Landesgruppe der Abgeordneten – war eher zweitrangig. Gundelach ahnte, was kommen würde. Es war schon kurz vor Mitternacht, als Specht ihn im Gästehaus der Landesregierung zu einem Glas Bordeaux auf sein Zimmer lud und übergangslos fragte, ob er Wieners Nachfolge antreten wolle.
Ich denke, sagte Specht, das wird kein großes Problem für Sie. Der Tom hat immer ein Riesentamtam um seine Pressearbeit gemacht, als ob sich’s dabei um eine furchtbar schwierige Sache handeln würde. Das ist eine Weile ganz lustig, aber mit der Zeit ist es sogar den Journalisten auf die Nerven gegangen. Die wollen Sachinformationen und Zusammenhänge, und das ist auch für mich das wichtigste, damit die Leute sehen, die Politik, die der Specht macht, ist in sich schlüssig und greift ineinander, Wirtschafts- und Technologiepolitik, Struktur- und Kulturpolitik, Sie kennen das ja. Deshalb ist es auch gut, wenn Sie weiterhin Leiter der Grundsatzabteilung bleiben, so können Sie sich immer auf dem laufenden halten und haben einen personellen Unterbau, der Ihnen zuarbeitet. Und mit den Journalisten kommen Sie zurecht, da hab ich keinen Zweifel. Die Pressestelle wird Sie loyal unterstützen. Ich denke, wir versuchen’s mit dieser Konstruktion erst mal bis zu den Wahlen, danach sehen wir weiter.
Ja, antwortete Gundelach benommen und wußte nicht, ob Specht auf die Eingangsfrage, von der er sogleich perspektivisch vorangeschritten war bis zur möglichen Beendigung des noch gar nicht begonnenen Verhältnisses, überhaupt eine Antwort erwartete.
Ja, vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich bedanke mich für das Angebot, und ich traue mir die Aufgabe auch zu. Ein Hexenwerk ist es sicher nicht, Regierungssprecher zu sein. Aber natürlich eine erhebliche Zusatzbelastung, und deshalb – das muß ja dann auch von der Familie mitgetragen werden – möchte ich zuerst noch mit meiner Frau sprechen, bevor ich mich endgültig festlege …
Sicher. Tun Sie das, sagte Specht, nahm genießerisch einen Schluck Rotwein und schwieg.
Um die Pause, die er
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