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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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universitären Kreisen der Ostküste gemäßigtes Interesse hervorzurufen. Amerika, so zeigte sich wieder einmal, war selbst für einen wie Oskar Specht ein paar Nummern zu groß. Aber es gab ja noch andere Weltmächte.
    Auf der Frankfurter Buchmesse, die er als Erfolgsautor besuchte, begegnete Specht durch Wrangels Vermittlung einem alerten chinesischen Übersetzer, der sich umgehend erbot, das ›für alle Chinesen sehr wichtige Werk‹ im Pekinger ›Aufbau‹-Verlag herauszubringen. Specht reagierte erfreut und übertrug die weiteren Verhandlungen Gundelach.
    Der merkte schnell, daß Herr Zhiang Hui-wen im Umgang mit Kapitalisten bei Gott kein heuriger Hase war.
    Die Marktwirtschaft in der Volksrepublik, sagte Herr Zhiang mit bedauerndem Augenaufschlag, sei leider noch nicht so weit entwickelt, daß man auch bei außerordentlich bedeutsamen Produkten allein auf das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage vertrauen könne. Darum werde es sich nicht vermeiden lassen, für die Druck- und Vertriebskosten und für seine eigenen Aufwendungen einen bescheidenen, natürlich ausschließlich an den Selbstkosten orientierten Zuschuß zu benötigen, dessen Kalkulation er selbstredend genauestens offenlegen werde.
    Dann nannte er einen fünfstelligen Betrag und die Kontonummer einer Pekinger Bank.
    Als Gundelach ablehnte, erklärte Herr Zhiang, keineswegs irritiert, die Angelegenheit lasse sich auch anders regeln. Er habe sich, wie der hochgeschätzte Professor Wrangel ja wisse, auf Einladung hiesiger Universitäten bereits mehrfach in Deutschland aufgehalten, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Wenn man ihm einen mehrwöchigen Studienaufenthalt in der Bundesrepublik finanziere, werde das der Qualität der Übersetzung außerordentlich zugute kommen, da etliche vom Autor verwendeten Fachbegriffe in keiner chinesischen Bibliothek zu finden seien und deshalb eingehender Diskussionen, am besten mit einem kompetenten Ökonomen, bedürften. Dabei heftete er seine Blicke kindlich-unbefangen auf Professor Wrangel.
    Wieder wollte Gundelach abwinken. Doch Wrangel erklärte, er halte diesen Weg im Rahmen der bestehenden akademischen Austauschprogramme für gangbar und werde umgehend mit Professor Diderichs reden.
    Worauf Herr Zhiang die Adresse einer Pekinger Hochschule aus der Tasche zog, an welche die Einladung zu richten sei, und seinen Terminkalender nach der nächstmöglichen Reisegelegenheit befragte.
    So erfuhr die ›Wende nach vorn‹ eine – wie immer geartete – ostasiatische Verbreitung, die später sogar auf Nordkorea und Vietnam ausgedehnt wurde, weil deren Staatsverlage gewohnheitsmäßig nachdruckten, was der ›Aufbau‹-Verlag in Peking herausbrachte.
    Der Himmel mochte wissen, was die Söhne Ho Tschi Minhs mit dem Idealbild einer deutschen Versöhnungsgesellschaft anfangen konnten.
    Bedienen wir uns – die wir lange geschwiegen und des Assessors Gundelach zähen, windungsreichen Aufstieg bis zu diesem Punkt in stummer Zeugenschaft beigewohnt haben – der einfachen Möglichkeit, die Zeit zu beschleunigen und ein Jahr im Fluge zu betrachten, so wie Oskar Specht es zuweilen mit den zahllos wechselnden und sich am Ende doch immer gleichenden Landschaftsbildern tat, die er aus flüchtiger Reisehöhe nach einfachen, vertrauten Erkennungsmustern abzusuchen schien: so sehen wir, daß beinahe alles, was in den Jahren zuvor sich angedeutet hatte, seine bestimmungsgemäße Fortsetzung fand; daß aufging, was lange gekeimt, und abstarb, was lange gewelkt hatte, ohne daß es dazu noch einer großen, merklichen Erschütterung bedurft hätte … Denn insgesamt verlief dieses Jahr im äußeren Ablauf eher ereignisarm, als müsse nun ausgetragen werden, was das vergangene Zeugungsgeschehen bewirkt hatte.
    Die ersten Tage des Januars verbrachten Oskar Specht und Tom Wiener fernab vom klirrenden Frost der nördlichen Hemisphäre auf einer Luxusyacht in der Karibik. Ein reicher, kränkelnder Industrieller hatte sie eingeladen. Während Specht schon nach kurzer Zeit die Nase voll hatte und froh war, in die heiße Phase des deutschen Bundestagswahlkampfs entfliehen zu können, kostete Wiener die Traumreise aus. Und wo Specht über die Misanthropie seines Gastgebers entnervt Klage führte, schilderte Wiener den bonvivanten Lebensstil, den ein großes Vermögen gestattet, voll wehmütigen Bewunderns. Nach mehr als zwei Wochen Südseeromantik ins winterlich-strenge Hinterland zurückgekehrt, empfand er die Verhältnisse hier, wie er

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