Monrepos oder die Kaelte der Macht
Verkündigung.
Gundelach hatte den Eindruck, daß Meyer-Landruts Erläuterungen vor allem dazu dienten, Spechts Nervosität zu dämpfen. Ihm selbst war vor Aufregung ganz elend zumute.
Das sind ja mehr Kirchen als rund um den Petersplatz, sagte er. Und so etwas im Zentrum des Atheismus!
Ja, und mehr Kreuze als Sowjetsterne. Auf einigen Tortürmen entlang der Kremlmauer sind Sterne aus rubinrotem Glas angebracht. Aber die Türme heißen trotzdem Sankt Nikolaus oder Dreifaltigkeit oder Erlöserturm, und kein Zentralkomitee würde daran etwas zu ändern wagen. – Wir sind da.
Der Chauffeur ließ den Wagen ausrollen. Genau vorm Hauptportal des Großen Palastes kam er zum Stehen. Gundelach warf einen kurzen Blick auf die elegante weiß-gelbe Fassade, dann wurde auf Spechts Seite die Tür geöffnet. Ein freundlich lächelnder Bediensteter führte sie ins prunkvolle Innere des Sitzes des Obersten Sowjet.
Beklommen stiegen sie die breite Treppe zum Obergeschoß empor, vorbei an riesigen Kristallvasen und einer Kolonnade schimmernder Marmorpfeiler. Gegenüber, die ganze Wandseite ausfüllend, ein Kolossalgemälde: Lenin in leidenschaftlicher Rednerpose vor einer Masse andächtig lauschender Menschen.
Lenin vor dem Dritten Komsomol-Kongreß, sagte der freundliche Führer in akzentfreiem Deutsch, ohne stehen zu bleiben.
Durch ein vergoldetes Portal gelangten sie in einen langgestreckten Saal, dessen stuckverzierte Rundbogendecke von mächtigen Säulen getragen wurde. In den Nischen standen vielarmige goldene Leuchter und seidenbespannte Diwane. Von der Decke hingen ausladende Lüster. Die Hölzer des ornamentgeschmückten Parkettbodens schimmerten rötlich und braun.
Am Ende der Halle warteten die Journalisten. Alle Chefredakteure, die sie auf dieser Reise nach Moskau und Leningrad begleiteten, waren versammelt, dazu einige Moskau-Korrespondenten westdeutscher Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen.
Der Zeitpunkt für ein Zusammentreffen mit Michail Sergewitsch Gorbatschow, den achten Führer der Sowjetunion und unbestrittenen Medienstar, schien günstig. Noch frisch in Erinnerung war sein Washingtoner Gipfeltreffen mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, auf dem die vollständige Vernichtung aller Mittelstreckenraketen der Supermächte vertraglich vereinbart worden war. Und mit dem Angebot, die strategischen Atomwaffen auf beiden Seiten um die Hälfte zu verringern, hatte er die USA ein weiteres Mal in Zugzwang gebracht. ›Glasnost‹ und ›Perestroika‹, Offenheit und Umgestaltung, die Schlüsselworte seines gesellschaftlichen Reformprozesses, waren in den westlichen Sprachgebrauch eingegangen wie Ketchup und Coca Cola. Plötzlich wehte der frische Wind der Veränderung aus dem Osten. Reagans Amerika wirkte dagegen wie eine gepuderte alte Dame mit falschen Zähnen.
Man begrüßte und unterhielt sich flüsternd. Anders als in den Räumen der Deutschen Botschaft war es kein vorsichtiges Flüstern, sondern ein respektvolles, das sich dem geschichtlichen Prunk des Ortes eingeschüchtert unterwarf. In der Botschaft gab es eine abhörsichere Stahlkabine, die man zum Zweck der freien Rede aufsuchen konnte. Hier ging es nicht um Geheimnisse, sondern um Größe. Jedes Wort, dessen Echo zwischen den weißen Pilastern des Ordenssaales des Heiligen Georg ziellos umhergeirrt wäre, hätte banal geklungen.
Wo sind die Kameraleute? fragte Gundelach seinen jungen Stellvertreter Raible, den er nach Wieners Weggang als ›Ausputzer‹ in die Pressestelle geholt und gleich mit einer Führungsfunktion betraut hatte – Raible zerriß sich dafür vor Eifer.
Sind schon in den Empfangsraum dirigiert worden, wo auch der Roboter steht.
Ja, der Roboter! Solch ein Einfall konnte wohl nur Oskar Spechts Gehirn entspringen. Was bringt man dem zweitmächtigsten Mann der Welt mit, der überdies ein untrügliches Gespür für effektvolle Auftritte besitzt? Eine Weltzeituhr, ein Zeiss-Fernglas wie kürzlich Franz Josef Strauß? Wie einfallslos und langweilig! Wahrscheinlich stapelten sich diese Spielereien in der Asservatenkammer des Kreml oder zirkulierten bei den Schwiegersöhnen und Enkeln der Politbüromitglieder. Wenn Oskar Specht, der Techno-Dynamiker, Michail Gorbatschow, dem Polit-Dynamiker, seine Aufwartung machte, mußte mehr geboten werden – Sinnfälliges, optisch Opulentes.
Lange hatten sie gegrübelt, dann brachte ein Firmenbesuch Specht auf die zündende Idee. Ein deutscher Spielzeugroboter sollte es sein,
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