Monrepos oder die Kaelte der Macht
gesteuert von einem sowjetischen Computer, der den Materialfluß in einer vollautomatischen Fabrik simulierte. Ein west-östlicher technologischer Diwan sozusagen, auf dem jedoch kein Dichter und kein Sänger, sondern ein frohgemuter Ingenieur Platz nahm, welcher seinen kleinen Portalroboter zwischen modellhaft nachgebildeten Bohr-, Fräs- und Stanzmaschinen hin- und herflitzen ließ. Und das nach den Befehlen eines, mit Verlaub, vorsintflutlichen Rechners.
Die Botschaft hatte den Vorschlag übermittelt, das Büro des Generalsekretärs ihm nach diversen Rückfragen zugestimmt, und nun stand das symbolträchtige Demonstrationsobjekt irgendwo zwischen Marmor, Gold und Seide und funktionierte hoffentlich im entscheidenden Augenblick.
Und für die anschließende Pressekonferenz in der Botschaft ist alles vorbereitet?
Klar. Wir haben über fünfzig Anmeldungen. Wird brechend voll.
Hoffentlich, dachte Gundelach, dauert das Gespräch nicht bloß eine Viertelstunde. Hoffentlich ist es mehr als ein höflich-interesseloses Geplauder des Mächtigen. Das alte George-Shultz-Syndrom: Fünfzehn Minuten inhaltsleeres Gefasel über Agrarpolitik … Vor internationalen Journalisten in der Botschaft nichts Berichtenswertes zu sagen zu haben, wäre tödlich. Andererseits: Was soll eine Weltfigur wie Gorbatschow eigentlich veranlassen, mit Oskar Specht länger als eine Viertelstunde Belangloses zu schwätzen, wenn er ihm schon die Ehre gibt? Wird weiß Gott Wichtigeres zu tun haben. Wenn er wollte, könnte er unser Ländchen im Baikalsee ersäufen, Computer hin oder her. Computer! Also, die Zeit für die Vorführung wird auf jeden Fall mitgerechnet, ganz klar. Hoffentlich dauert’s recht lang. Hoffentlich klappt’s überhaupt …
Gundelach trippelte. Specht trippelte. Meyer-Landrut lächelte gelassen.
Dann wurden die Journalisten aus dem Saal gebeten. Specht, Meyer-Landrut, Mendel und Gundelach blieben mit einem Herrn des sowjetischen Protokolls zurück. Er bedeutete ihnen, sich noch für wenige Minuten zu gedulden, und verschwand. Der Botschafter berichtete, daß nach seinen Informationen die Unterredung mit dem Generalsekretär im offiziellen, sonst nur für Staatsempfänge reservierten Raum stattfinden werde, was als besondere Auszeichnung zu gelten hätte. Specht mochte es nicht glauben. Auch er unterhielt sich nur flüsternd.
Specht sah auf die Uhr. Gundelach sah auf die Uhr. Kurz vor elf, Moskauer Zeit. Personen der Weltgeschichte legen sich nicht auf die Minute fest.
Legen sie sich überhaupt auf irgendwas fest? Was am meisten an den Nerven zerrt, ist die Ungewißheit. Am Hof des Kaisers kann alles so kommen oder auch ganz anders. Wer wollte einem Gorbatschow Vorschriften machen? Was bedeuten wochenlange mühevolle Absprachen gegenüber einem spontanen imperialen Entschluß, einem plötzlich geänderten Kalkül? Wer blickt hinter die endlose Flucht der Goldportale, wer durchdringt die Geheimnisse der Nomenklatura?
Allein der gestrige Tag, denkt Gundelach schaudernd. Ein Wechselbad der Gefühle zwischen Hoffen und Bangen. Gleich nach der Landung der Sondermaschine auf dem Flughafen Scheremetjewo 2 das erste Entsetzen: Statt des angekündigten Vitalij Worotnikow, seines Zeichens Vorsitzender des Ministerrats der Russischen Föderation, erscheint dessen Stellvertreter Tabejew zur Begrüßung, ein Unbekannter mit lächelndem Tatarengesicht. Worotnikow, der offizielle Gastgeber, sei erkrankt und lasse sich entschuldigen.
Erkrankt? Lange Gesichter, vereinzelt glimmende Schadenfreude. Wer glaubt in der Diplomatie an Erkrankungen? Wird Spechts ostpolitischer Höhenflug schon jetzt zur Bauchlandung? Hat nicht auch der Besuch von Franz Josef Strauß vor sechs Wochen, dieser brachial durchgesetzte Prestigetrip eines nicht zu steuernden Hobbypiloten, mehr Schaden als Nutzen gestiftet, weil Strauß sich nach dem Gespräch mit Gorbatschow wie der Kanzler persönlich gerierte? Und ist der sowjetische Außenminister Schewardnadze nicht gerade erst enttäuscht und grimmig aus Bonn abgereist, weil Helmut Kohl die Einladung ausschlug, im ersten Halbjahr 1988 nach Moskau zu fahren? Kohl, der unverbesserliche Dickschädel. Wollte mit Gewalt erzwingen, daß Gorbatschow ihn, den deutschen Kanzler und amtierenden Ratspräsidenten der Europäischen Gemeinschaft, zuerst aufsucht. Ging gründlich daneben.
Muß Specht jetzt die Suppe auslöffeln? Läßt man ihn, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, den Zorn einer gekränkten
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