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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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kleinen, schwarzhaarigen Frenkin, der jetzt Chefredakteur der ›Literaturnaja Gaseta‹ ist, mit der Herzlichkeit eines Bruders.
    Im Pressezentrum summt es wie in einem Bienenkorb. Frenkin sagt, er habe Gorbatschows engste Berater mehrfach auf die Wichtigkeit des Specht-Besuchs hingewiesen. Eigentlich sei es aber gar nicht mehr nötig gewesen. Auch Valentin Falin, der frühere Sowjetbotschafter in Bonn, der jetzt bei Gorbatschow wieder hoch im Kurs stehe, zeige sich von Spechts bundespolitischer Zukunft überzeugt …
    Dann entsteht Unruhe, ja Hektik. Die Journalisten drängen vor einen Fernsehapparat. Gorbatschow verliest eine Erklärung. Die Sowjetunion, sagt er, wird im Mai damit beginnen, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Binnen eines dreiviertel Jahres soll der Abzug vollständig abgeschlossen sein. Eine Sensation! Ein neuer Coup dieses ungeheuren, offenbar keinerlei Tabus kennenden Dynamikers.
    Die Journalisten stieben auseinander. Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun, als Canapees zu futtern.
    Welch ein Tag, der Tag vor dem Tag!
    Und da soll der Kremlgewaltige heute Zeit haben für ein Plauderstündchen mit einem Herrn Specht?
    Die Tür am Kopfende des Georgiewskij-Saales öffnete sich. Der Protokollbeamte bat sie, nun sehr steif und ernst, ihm zu folgen. Specht ging voraus, Meyer-Landrut, Mendel und Gundelach folgten mit leichtem Abstand. Sie durchschritten mehrere Räume, und immer taten sich die goldenen Portale wie von Geisterhand auf. Gundelach sah wie im Taumel riesige vergoldete Spiegel, rote Seidentapeten, malachitgrüne Säulen und Kamine. Vor den Flügeln einer bereits offenstehenden Tür gebot ihr Führer mit einer Handbewegung Halt.
    Der Katharinen-Saal! flüsterte Meyer-Landrut. Nur der Bundespräsident ist bisher hier empfangen worden.
    Und Strauß? flüsterte Gundelach. Strauß war im Arbeitszimmer des Generalsekretärs.
    Langsam wurde die gegenüberliegende Tür aufgezogen. In einem taubenblauen Anzug, straff und gebräunt, erschien Gorbatschow. Auf einen Wink des Protokollbeamten setzten sie sich in Bewegung. Etwa in der Mitte des Saals schüttelten Specht und Gorbatschow einander die Hände.
    Das einsetzende Blitzlichtgewitter machte Gundelach auf die Journalisten aufmerksam, die sich hinter einer Absperrung entlang der Wand drängten. Vor ihnen, auf einem Rokokotisch, war der Spielzeugroboter nebst sowjetischem Computer plaziert.
    Die Begrüßung verlief kurz und korrekt. Gorbatschow, vom Vorsitzenden der sowjetischen Außenhandelskommission Kamenzew begleitet, schien nur mäßiges Interesse an dem kleinen Monstrum zu haben, das sich, von einem Techniker der Herstellerfirma in Betrieb genommen, mit ruckartigen Schwüngen in Bewegung setzte.
    Specht sagte, die Anlage simuliere den Produktionsablauf in einer modernen Fabrik. Gorbatschow erwiderte, er hoffe, daß man ihm die Konstruktion später noch erklären werde. Offenbar wollte er weitschweifigen technischen Darlegungen zuvorkommen. Die Kameras surrten, die Journalisten reckten die Hälse. Spielt er mit dem Ding? Lobt er die westliche Technik? Sagt er wenigstens was zum Symbolgehalt des Geschenks?
    Nichts dergleichen. Gerade so lange, wie es den Bedürfnissen der Pressefotografen entsprach, hielt er vor dem Tisch inne, dann wandte er sich ab und sagte: Nun müssen wir leider wieder arbeiten.
    Sein mondgesichtiger Dolmetscher übersetzte es.
    Sie nahmen an einem länglichen vergoldeten Tisch Platz. Die Medienleute umringten sie. Gorbatschow sagte, er habe die Landeshauptstadt schon einmal besucht, als Parteichef von Stawropol, auf der Durchreise zu einer Veranstaltung der Deutschen Kommunistischen Partei in Nürnberg. Am 8. Mai sei das gewesen, dem Tag der deutschen Kapitulation. In seinem Hotelzimmer habe er morgens die Glocken einer nahegelegenen Kirche gehört.
    In einer solchen Situation denkt man: Wo wird das wohl noch hinführen? War darin eine Ermunterung zu sehen, ihn offiziell einzuladen? Specht zögerte mit der Antwort.
    Vielleicht, sagte er unbestimmt, finden Sie einmal Gelegenheit, die Eindrücke Ihrer damaligen Reise nachzuempfinden.
    Meyer-Landrut nickte zustimmend. Die Journalisten wurden energisch hinausgebeten. Die großen Türflügel schlossen sich.
    Sofort eröffnete Gorbatschow das Gespräch. Er saß gerade, die Unterarme auf die Tischplatte gestützt, doch ohne Steifheit. Seine Augen waren auf Specht gerichtet. Der Eindruck federnder Präsenz, den Gundelach schon beim ersten Anblick gewonnen hatte, verstärkte sich

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