Monrepos oder die Kaelte der Macht
Ende hin wie ein Schiffsbug wölbte. Sekundenlang war das Gesicht in eine maskenhafte Starre verfallen, aus der es nur langsam, wie aus einer Umklammerung, wieder herausfand; die Augen zuletzt.
Na gut, sagte er nicht sehr überzeugt. Dann reden Sie noch einmal mit Bosch und Hänsler. Aber machen Sie den Herren klar, daß es mir ernst ist. Ich will den Fabian in der Landespressekonferenz nicht mehr sehen, ich werde ihm auch keine Interviews mehr geben. Wenn Bosch auf stur schaltet – ich kann es auch. Er soll sich’s gut überlegen, ob ihm der Lausbub einen Pyrrhussieg wert ist.
Eine lange, Frösteln erzeugende Pause trat ein. Der Ärger trieb Breisinger um. Gundelach wagte nicht, sich auf seinem Stuhl zu rühren. Bertsch blickte versonnen auf eine venezianische Szene hinter Breisingers Haupt – graugekräuseltes Wasser, bleichschattige Paläste, geschäftig rudernde Menschen ohne erkennbare Gesichter, ein freudlos verhangener Himmel. Ein schwerer Goldrahmen fing das Gewimmel ein. Venedig im Alltag bei der Arbeit. Der Glanz des Reichtums und der Macht verbarg sich hinter undurchdringlichen Mauern.
Wir müssen aufpassen, daß das nicht Schule macht, fing Breisinger wieder an. Ich beobachte mit Sorge, wie da eine neue Journalistengeneration heranwächst, die mit den Regeln eines fairen und anständigen Journalismus nicht mehr viel im Sinn hat. Eine ausgewogene Berichterstattung gilt als reaktionär, Meldungen und Meinungen werden nach Belieben vermengt. Auf linke Gesinnung kommt es an, auf sonst gar nichts. Wer ein anderes Weltbild hat, wird hemmungslos niedergeschrieben. Ist es nicht so?
Bertsch ließ sich mit der Antwort Zeit. Es war, wie Gundelach noch öfter festzustellen Gelegenheit hatte, seine Art, Unabhängigkeit zu demonstrieren. Niemand, auch kein Ministerpräsident, sollte das Gefühl haben, einen wie ihn zum Kopfnicker degradieren zu können.
Sicher gibt es bedenkliche Tendenzen, sagte er schließlich. Aber ich wüßte keinen, der entschiedener dagegen vorgeht als wir. Jeder unserer Journalisten kennt das Risiko, das er eingeht, wenn er das Geschäft der Opposition betreibt. Das eigentliche Problem – hier nahm Bertschs Stimme einen schneidenden Klang an – liegt woanders, Herr Ministerpräsident. Manche Verleger und Chefredakteure werden weich, wenn sie sehen, daß auch unsere Abgeordneten und sogar einige Regierungsmitglieder in den Rundfunkgremien immer seltener Flagge zeigen.
So? fragte Breisinger unangenehm berührt. Gundelach hatte den Eindruck, daß er das Thema jetzt am liebsten fallengelassen hätte.
Sie bleiben Sitzungen fern, fuhr Bertsch unbeirrt fort, oder melden sich nicht zu Wort, wenn Sendungen, die wir kritisieren, auf der Tagesordnung stehen. Sie kungeln und kuschen, statt auch einmal deutlich nein zu sagen. Und die CDU-Fraktion, vor allem der Herr Fraktionsvorsitzende, gefällt sich in der Rolle des angeblich liberalen Korrektivs. Da brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn draußen die Front langsam abbröckelt.
Wie ein kalter Schatten flog die maskenhafte Erstarrung erneut über Breisingers Gesicht; doch genauso schnell verschwand sie wieder.
Nun, was den Herrn Specht betrifft, brauchen wir uns wohl keine allzu großen Sorgen zu machen. Er ist jung und wird sich mit der Zeit die Hörner schon noch abstoßen. Man muß ihm ein wenig Leine lassen. Aber schreiben Sie mir mal ein paar Fälle auf, ich werde sie in der nächsten Fraktionsklausur ansprechen. – In einer Partei ist es wie in einem Zirkus: Ab und zu muß man die Peitsche schwingen und zeigen, wer Herr im Ring ist!
Mit erhobenem Zeigefinger hatte Breisinger den letzten Satz begleitet und sich dabei dem Assessor zugewandt.
Sie sehen, lieber Herr Gundelach, wenn man oben steht, kommen die Pfeile von allen Seiten, nicht nur vom politischen Gegner. Aber das war schon immer so und es lohnt nicht, sich darüber aufzuregen. Viel wichtiger ist, daß wir die Bürger auf unserer Seite haben. Ja! rief er emphatisch und breitete die Arme aus, als beabsichtige er, den Schreibtisch zu segnen, der Schulterschluß mit den braven Männern und Frauen unseres schönen Landes, das ist das allerwichtigste! – ein Wort übrigens, Herr Bertsch, das wir uns für den Wahlkampf merken sollten. Es trifft, glaube ich, den Kern … Sagen Sie, Herr Gundelach, Sie sind doch auch mit den Vorbereitungen für unser Landesjubiläum befaßt – berichten Sie noch kurz darüber. Läuft alles nach Plan?
Welche Frage! Was für eine Chance!
Gundelach
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