Monrepos oder die Kaelte der Macht
passierte ihm dasselbe, sagte er heiter. Ringsum peinliche Betroffenheit, vor allem natürlich bei den Damen. Da tritt ein Kammerherr vor und sagt: Majestät, bevor wir aufsitzen, wollen wir noch mal die Korrektheit unserer Kleidung überprüfen. Das, mein Lieber, ist Stil!
Nach Mitternacht brachen sie auf. Die Tische zu säubern, überließen sie der Sekretärin, die morgen als erste am Platz sein würde.
Ein vorgreifendes Ereignis
Hätte Assessor Gundelach ernstlich vorgehabt, seines zwar noch verborgenen, aber doch schon an die Oberfläche drängenden Ehrgeizes wegen bußfertig in sich zu gehen (um der Wahrheit willen: er hatte es nicht – alles, was er zuwege brachte, war ein diffuses schlechtes Gewissen, das von Blank bis Bauer reichte und schnell durch heftig rumorendes Schädelbrummen übertönt wurde), so hätte er sich damit jedenfalls beeilen müssen, was bei Anwandlungen von Selbsterkenntnis wohl ohnehin das Beste ist. Denn schon in der folgenden Woche stürmten Ereignisse auf ihn ein, die zwar den Ministerpräsidenten zum selbstverständlichen Mittelpunkt hatten, an denen er, der Anfänger, aber schon mit kleinen Handreichungen teilhaben durfte; oder, wie es ihm später, wenn er an jene Zeit zurückdachte, einmal in den Sinn kam: es war die Woche, da er erstmals im Orchester mitspielte und mit ein paar Solotönen – sagen wir, als ob jemand in eine Fermate hinein die Triangel schlüge – auf sich aufmerksam machte.
Daß dies der pure Alltag war auf Monrepos, verstand er, dem alles gleich neu und bedeutend erschien, noch nicht. Und weit mehr Erfahrung bedurfte es, um zu begreifen, daß in diesem gelegentlich herausklingenden Triangelspiel ein Gutteil der Anziehungskraft des zehrenden Dienstes im politischen Olymp begründet lag; und daß jene, die im Orchester ganz vorne saßen, sich vielfältiger Mittel zu bedienen wußten, um ihren Mitspielern die Illusion von Unentbehrlichkeit zu suggerieren und sie dadurch zu Höchstleistungen anzuspornen. Als Gundelach dessen gewahr wurde, saß er aber dem Dirigenten schon viel zu nahe, als daß er noch ernstlich dagegen hätte opponieren wollen. – Doch greifen wir weit voraus …
Es begann gleich montags, indem er zusammen mit seinem Abteilungsleiter zum Ministerpräsidenten einbestellt wurde. Dr. Zwiesel hatte gute Vorarbeit geleistet. Bertsch war, für ihn ein leichtes, in Breisingers Vorzimmer eines baldigen Termins beim Chef wegen vorstellig geworden und hatte ihn erhalten. Andere – wenn sie sich überhaupt bis dorthin vorgewagt hätten – wären an der Gralshüterin des präsidentialen Terminkalenders, Annerose Seyfried, kläglich gescheitert. Die Chefsekretärin war Instanz und ließ es wissen. Müller-Prellwitz und Bertsch jedoch, die mit ihr im Innenministerium begonnen hatten, sagten: Rösle, gib mir gschwind mal einen Termin beim Alten! und bekamen ihn.
Gundelach war immerhin schon so weit eingeweiht, daß er der resoluten Dame artig seine Aufwartung machte. Wie eine Fanfare dröhnte das obligate Grüß Gott! zurück.
Breisinger selbst öffnete dann die Tür und bat die Herren herein. Er war schlank und groß, größer als Gundelach ihn sich vorgestellt hatte, und ging ein wenig nach vorne gebeugt. Die rechte Schulter fiel deutlich ab. Ein altes Kriegsleiden sei das, hörte Gundelach später einmal Breisingers Frau sagen, und ein teures dazu. Kein Konfektionsanzug passe ihrem Mann, er brauche immer einen Schneider.
Herr Ministerpräsident, ich darf Ihnen zunächst unseren neuen Mitarbeiter, Herrn Gundelach, vorstellen, sagte Ministerialdirigent Bertsch sehr förmlich. Seit drei Wochen ist er bei uns.
Ah ja. Dr. Breisinger zeigte zwei kräftige weiße Zahnreihen. Willkommen an Bord, ich freue mich, Sie zu sehen. Setzen Sie sich doch.
Andreas Kurz hatte nicht übertrieben: Breisingers Schreibtisch ruhte tatsächlich auf Säulen. Paarweise angeordnet, trugen sie die wuchtige Platte wie Schäfte eines kleinen ionischen Tempels. Darüber thronte Breisingers straffe Zeusgestalt. Das antikisierende Interieur des Zimmers schien sich ihm unterzuordnen. Er beherrschte es, als wäre er damit aufgewachsen. Dabei entstammte er, wie Gundelach sich zu erinnern meinte, kleinbürgerlichen Verhältnissen – so nannte man das wohl (früher hätte er ihn, weniger feinfühlig, als typisches Produkt reaktionärer Bourgeoisie bezeichnet). Nun saß er ihm gegenüber, der junge Beamte auf Probe dem mächtigen Regierungschef, und dachte mit einem Anflug von
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