Monrepos oder die Kaelte der Macht
dem Kollegen Bauer beibringen, ist Ihre Sache. Ich will Ihnen da – nicht vorgreifen …
Menschen im Kabinett
Kabinettssitzung auf Monrepos! Das gibt, obgleich oft und oft exerziert, doch immer wieder Anlaß zur Aufregung, selbst bei Altgedienten. Der Leiter des Hausdienstes zum Beispiel, ein kleiner wendiger Mensch mit silbernen Löckchen, weiß seiner Nervosität kaum Herr zu werden. Immer wieder korrigiert er an der Kleidung der beiden Kellnerinnen, die dienstags vom ersten Hotel der Hauptstadt ausgeliehen werden, zählt Kaffeekannen, versichert sich der Vollständigkeit des Getränkeangebots, prüft den Glanz spiegelnder Wassergläser und verändert die Anordnung marmorner Aschenbecher. Die große weiße Flügeltür ist weit geöffnet, nur an diesem Tag und nur zwischen viertel vor neun und neun Uhr. Die Herren Minister und Staatssekretäre, so sie denn zu mehreren die Treppe heraufkommen, sollen nicht der Entscheidungsnot unterworfen sein, wer wem den Vortritt zu lassen hat. Die hohen gelbbraunen Lederstühle halten akkurat gleichen Abstand voneinander, und eine würfelförmige Uhr mit vier goldenen Zifferblättern bezeichnet die Mitte des ovalen Kabinettstischs und läßt niemanden im unklaren darüber, was die Stunde geschlagen hat. Überhaupt, dieser Tisch: ihn zu verrücken wie ein gewöhnliches Möbel, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Gut und gern acht Meter mißt er in der Länge und drei an seiner größten Breite und ruht so selbstsicher in sich wie das Haus selbst. Will man ihm zu Leibe rücken, muß man die Nußbaumplatte aufschneiden und das ganze Konstrukt zerlegen, als wäre es ein in die Gegenwart überkommenes unförmiges Fossil. Später, in den achtziger Jahren, wenn sich immer mehr Staatssekretäre an ihm tummeln, wird es mehr als einmal nötig werden, den Holzkörper mittels Zwischenstücken in die Länge zu ziehen, um ihn der Hydra des Regierungskörpers kunstgerecht anzupassen.
Dann der Auftrieb der Mercedeslimousinen. Im Nu füllt sich der verschlafene Vorhof des Schlosses mit schwarzen Karossen, welche die Herren Minister und Staatssekretäre direkt vor die Säulen des Eingangsportals befördern, damit sie, an der kleinen Göttin vorbei, dem Heiligsten ihres eigenen Olymp zustreben können. Längst vergessen ist die Anmutung des ersten Ministerpräsidenten – jenes erdverwachsenen, mit der nachmals historischen Taschenuhr bewaffneten Herrn aus der Bildergalerie –, der seine Handvoll Minister reihum mit einem altertümlichen Fahrzeug zur Kabinettsrunde einsammeln ließ. Auch auf Monrepos staut sich der Fortschritt jetzt chromglänzend, und die Fahrer liefern sich beim Kampf um die besten Parkplätze hingebungsvolle Prestigeduelle.
Gundelach darf nicht am Kabinettstisch Platz nehmen, woher auch. Er erhält einen schmalen Stuhl direkt an der Wand zugewiesen, gleich neben dem Seiteneingang, der zum Vorraum des Saales führt. Auch das hat seine Ordnung so. Denn der Haupteingang wird, wie die Himmelspforte, nur von Auserwählten betreten. Und die andere Seitentür ist überhaupt niemandem zugänglich als dem Ministerpräsidenten, der durch sie aus dem Requisitenfundus seiner Amtsräume die Szene betritt. Müller-Prellwitz hat man allerdings auch schon auf diese Weise hereinkommen sehen. Er nimmt sich eben grundsätzlich mehr heraus als andere; aber statthaft ist es eigentlich nicht.
Die Abteilungsleiter sitzen unten am Ende des Tisches, den ›echten‹ Beamteneingang im Rücken. Zwischen ihnen der Ministerialdirektor, der dem Ministerpräsidenten gerade ins Auge blicken kann, aber auch die größte räumliche Distanz zu ihm hat. Seitlich der Ministerialdirigenten schließen die Staatssekretäre auf, erst die Vertreter der für weniger wichtig erachteten Ressorts, dann die Herren der klassischen Ministerien für Inneres, Finanzen und Justiz. Dieselbe Reihenfolge ist den Ministern vorgegeben: je näher am Herrn, desto größer ihr politisches Gewicht. Professor Baltus allerdings durchbricht die Hierarchie, weil er zwar ›nur‹ Kultusminister, zugleich aber auch stellvertretender Ministerpräsident ist. Als solcher hat er das Recht, zu Breisingers Rechten zu sitzen. Jeder Zoll ein akademischer Aristokrat, füllt er den Platz mit einer Würde aus, die Breisinger manchmal Unbehagen zu bereiten scheint. Ihr Verhältnis zueinander ist nicht herzlich. Aber weil Baltus seinerzeit Breisinger nur knapp unterlegen war, als der Vorgänger nach Bonn wechselte und ein neuer Ministerpräsident
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