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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Dämmerung schoben sich gerade durch die Rolläden, so daß Gundelach, als es von fern in die Dumpfheit seines Schlafs hineinläutete und er ohne Verstand die Augen öffnete, für einen Moment meinte, eine erste Vogelstimme habe ihn geweckt und er wache dort auf, wo es frühes, vorausrufendes Vogelzirpen gegeben hatte.
    Benny war am Telefon. Mami ist krank, sagte er. Gundelach verstand ihn kaum, so leise und angstvoll war seine Stimme.
    Um Gottes willen, was hat sie? Sag, Benny, was ist los mit ihr?
    Weiß nicht. Sie hat ganz hohes Fieber und redet komisch. Manchmal ruft sie was. Auch nach dir hat sie gerufen.
    Habt ihr einen Arzt? Bekommt sie Medikamente?
    Nein. Es hat ja erst gestern abend angefangen. Kommst du?
    Natürlich komme ich. Ich wollte sowieso … ich habe für ein paar Tage in Hamburg zu tun. Paß auf, Benny. Du rufst jetzt – nein, du gehst zur Mami, sagst ihr, daß bald ein Arzt kommt, legst ihr kalte nasse Waschlappen auf die Stirn und um die Füße und hältst ihre Hand. Ich schicke euch einen Arzt, und wenn Mami ins Krankenhaus muß, fährst du mit und bleibst bei ihr im Zimmer. Ich fliege mit der Vormittagsmaschine und bin mittags bei euch. Okay?
    Okay. Und was ist mit der Schule? Ich schreib heute Englisch!
    Das ist egal. Ich entschuldige dich telefonisch. Noch eins: Wenn der Arzt Mami untersucht hat, soll er mich anrufen, damit ich weiß, was los ist und in welchem Krankenhaus ich euch notfalls finde. Ist das klar, Benny? Bitte vergiß nicht, ihm das zu sagen!
    Nein, du kannst dich auf mich verlassen. Jetzt ruft sie wieder …
    Dann geh schnell zu ihr. Sag, daß du mit mir telefoniert hast und daß alles gut wird. Und gib acht, wenn es an der Tür klingelt.
    Ja. – Papa?
    Ja?
    Ich bin froh, wenn du kommst.
    Ich auch, Benny. Ich auch, mein Schatz.
    Gundelach erfragte über die Auskunft die Nummer des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg und bat dringlich darum, einen Notarztwagen nach Uhlenhorst zu seiner Frau zu schicken. Er packte seine Tasche und zog sich ohne zu duschen an, aus Angst, unter der Dusche das Telefon zu überhören. Die Zeit des Wartens dauerte entsetzlich lang. Mehrmals hielt er den Telefonhörer in der Hand, legte aber wieder auf.
    Langsam wurde es hell, der morgendliche Straßenlärm setzte ein, Mülltonnen klapperten. Endlich läutete es. Ein Doktor Hansen meldete sich und sagte knapp: Ihre Frau hat Meningitis. Ich muß sie ins Krankenhaus einweisen. Was passiert mit dem Kleinen?
    Er fährt erst mal mit. Ich komme heute mittag und kümmere mich dann um ihn.
    Na hoffentlich, sagte der Doktor Hansen, nannte die Adresse der Klinik und beendete das Gespräch. Die Mißbilligung ungeordneter Familienverhältnisse, in denen solche Regelungen notwendig werden, war unverkennbar.
    Gundelach landete ein paar Stunden später in Hamburg-Fuhlsbüttel und fuhr, statt zum Congress-Zentrum, wo Partei- und Deutschlandfahnen einem einigungsseligen christdemokratischen Jubelfest entgegenflatterten, vor die Tore eines von düsteren Mauern umsäumten Gebäudekomplexes; rannte durch säuerlich riechende Flure, verirrte sich zwischen Stationen und Geschoßebenen, wich scheu den vorbeischlurfenden graugesichtigen Bademantelträgern und ehrfürchtig dem weißbekittelten Alles-im-Griff-Stand aus; dachte keine Sekunde an das mit irgend jemandem verabredete Mittagessen im Plaza-Hotel und fand seinen Sohn endlich in der Ecke eines Mehrbettzimmers, die Hand der schlafenden Mutter haltend, deren Kopf, wie Gundelach in sturzhaft einsetzender Erinnerung feststellte, genauso totenblaß auf dem Kissen ruhte wie damals, als sie Benny geboren hatte.
    Benny blieb auch noch auf der Bettkante sitzen, als er seinen Vater eintreten sah, und er rührte sich nicht, gab die Stellvertretung nicht preis, bis er die Finger, die seine Hand umschlossen hielt, dem Vater überantwortet hatte. Soviel Selbstverständlichkeit lag in seiner fürsorgenden Geste, daß Gundelach sich beschämt fragte, ob er je in der Lage gewesen war, einem Menschen denselben Halt zu geben wie dieser Elfjährige, der ihn jetzt mit Freude und Angst ansah. Als er Benny in den Arm nahm, war es ihm, als stützten dessen schmale Schultern ihn wie eine Mauer.
    Es folgten schwere, kritische Tage. Dann kehrte Heikes Bewußtsein langsam zurück, die Starrheit des heißen Leibes wich, der abwesend-dumpfe Glanz der Augen, die sie nun öfter aufschlug, verlor sich.
    Sie hat Glück gehabt, sagte der Arzt zu Gundelach. Es war sehr knapp. Wir waren nicht sicher, ob

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