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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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dem Specht und Familie auf Segeltörn gewesen waren, eröffnet. Die Anklage lautete auf fortgesetzte Lohn- und Einkommenssteuerhinterziehung, Vorsteuererschleichung, Untreue und Betrug. Den Gesamtschaden bezifferte die Staatsanwaltschaft auf drei Millionen Mark.
    Gundelach wußte über den Fall Mohr nur, was in den Zeitungen stand. Fragen, ob aus dieser ›Geschichte‹ Unannehmlichkeiten erwachsen könnten, die frühzeitiges Gegenlenken nötig machten, beantwortete Specht mit dem Hinweis, Kalterer kümmere sich darum.
    Wie bei den Parteispendenverfahren, verfolgte Kalterer auch diese mündliche Verhandlung als Zuhörer und sprach in den Pausen mit Journalisten. Aus seiner steten Präsenz konnten sie Rückschlüsse auf die Bedeutung ziehen, die Specht den Prozessen beimessen mußte. Was Kalterer von den Journalisten erfuhr, rapportierte er direkt dem Ministerpräsidenten, der es, dadurch die Distanz zu seinem Sprecher unterstreichend, nicht weitergab.
    Als Gundelach ihn kurz vor dem Weihnachtsurlaub nochmals auf das laufende Strafverfahren ansprach und um Informationen bat, welche die Pressestelle bei etwaigen Anfragen von außen benötigen werde, sagte Specht: Sie meinen die Geschichte mit den Ägäisreisen. Das ist harmlos. Da kommt nichts. Kalterer hat das schon geklärt.
    Auch gut, dachte Gundelach. Dann eben nicht.
    Geschichten und Geschichte. Specht in die Vergangenheit zurückgeworfen, mit Papieren und Histörchen konfrontiert, Kohl Dokumente füllend, Historie schreibend, ein Ausgesandter der Zukunft. Ausgerechnet er. Ausgerechnet Kohl. Hunderttausendfache orgiastische ›Helmut-Helmut-Helmut‹ – Rufe in Rostock und Leipzig, verlegene Angaben zur Person im Landgericht.
    Die Fähigkeit der Geschichte zur Ironie ist unbegrenzt. Ihre Grausamkeit, Spreu von Weizen zu trennen, auch.
    Nur selten kreuzten sich noch die Wege von Sieger und Besiegtem: beim CDU-Bundesparteitag in Hamburg Anfang Oktober, wo es niemanden mehr aufregte oder anfocht, daß Specht wieder in den Vorstand einrückte, beim Tauziehen des Bundes mit den Ländern um die Finanzierung des Fonds Deutsche Einheit, am Krankenbett des von einem verwirrten Attentäter niedergestreckten Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble.
    Da bekam auch Gundelach vor Augen geführt, wessen man ihn noch für wert und wichtig befand. Der Reporter eines Boulevardblattes forderte ihn auf, sich von Schäubles Pflegepersonal die ersten gestammelten Worte des aus der Narkose Erwachenden hinterbringen zu lassen und sie unverzüglich der Redaktion zu melden. Gundelach weigerte sich empört, und der Journalist sagte spitz: In Ordnung, ich brauche Sie nicht. Warten Sie nur, bis Sie uns brauchen!
    Der Schlamm, in dem man watete, wurde tiefer, es war deutlich zu spüren. Mit der Fortune wich die Würde, die noch beansprucht werden durfte.
    Drei Wochen nach dem Glockengeläut zur Deutschen Einheit erstarrte eine dezimierte, lustlose Unternehmerrunde im Kurhotel Unterstein vor Peinlichkeit, als Specht den Ehrengast, einen alternden französischen Schriftsteller, den er seines einstmals klangvollen Namens wegen selbst ausgesucht und eingeladen hatte, um ein Statement bat. Der Mann, dem von früheren Büchern her der Ruf eines eleganten, sprachgewandten Visionärs anhaftete, entledigte sich eines unzusammenhängenden Schwalls Banalitäten. Es war nicht sicher auszumachen, ob er betrunken oder senil war oder beides zusammen. Man mußte ihn zum Auto führen und mit staatskanzleilicher Begleitung nach Paris zurückfahren, wo er die Adresse seiner Wohnung nicht mehr anzugeben wußte und sich zum Schlafen in einen Rinnstein legen wollte …
    Genug der Erinnerungen, die den Rinnstein der Geschichte wie welkes Laub füllen. Genug des Jahres, von dem wir uns ohne einen Funken Wehmut verabschieden, ja nicht einmal das, von dem wir uns nicht zu verabschieden brauchen, weil es des verbalen Appells nicht bedarf, wo die Elemente der Auflösung und des Verfalls für jeden, der sehen und hören kann, so offen und nackt zutage treten –.
    Und doch nicht ganz. Doch nicht in allem.
    Eines Morgens, Ende September, hatte in Gundelachs Wohnung früh das Telefon geläutet, und weil Gundelach für den mehrtägigen Bundesparteitag in Hamburg einige Hemden und Unterwäsche zum Wechseln in die Reisetasche packen wollte, nächtigte er in seinem Zuhause, das keines war, und nicht im Schloß.
    Als das Telefon klingelte, war es draußen noch dunkel. Oder fast dunkel, denn die ersten Flecken einer farblosen

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