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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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gekürt werden mußte, war es ein Akt politischer Klugheit, ihm das zweithöchste Amt anzutragen.
    Wenn wir denn schon dabei sind, gleich dem jungen Gundelach die Ankunft der Landesgrößen im Kabinettssaal zu verfolgen, so wollen wir es doch auch vollständig tun: Zur Linken des Regierungschefs wird sich Finanzminister Hohberg niederlassen, ein gelernter Mechaniker mit einer erstaunlichen Karriere. Wenn er, leider selten mit Erfolg, vor neuen Kreditaufnahmen warnt, rollt seine Stimme wie das Echo aus den Bergen, zwischen denen er aufgewachsen ist. Neben Hohberg hat der Innenminister sein Revier – ein lebensfroher Jäger, der nichts dagegen einzuwenden hat, wenn mit seinem Namen Schindluder getrieben wird. Er heißt nun mal Gwähr. Über seinen Trachtenanzug mit den Hirschhornknöpfen und der Ehrennadel der Landesjägervereinigung am Revers dürfte man jedoch keinen Spott treiben – da geht es an die inneren Werte. Von denen wiederum hat Justizminister Dr. Rentschler, Baltus’ anderer Nachbar, eine ganz eigene Auffassung. Er ist praktizierender evangelischer Christ und hebt sich durch sein redliches, aber etwas nach innen gekehrtes intellektuelles Wesen deutlich von der katholisch-barocken Fürstenmehrheit ab. Ein Jahr etwa, nachdem der Assessor ihn zum ersten Mal – und das ebenso fasziniert wie ungebührlich lange – beobachtet hat, wird er zu Gundelach sagen: Es kotzt mich alles an, am liebsten würde ich zurücktreten – und es kurz darauf, ohne die Spur eines Bedauerns, tun; der einzige Rücktritt im übrigen, der Gundelach jemals wirklich imponieren sollte.
    Es folgen, linksseitig, der Wirtschaftsminister und der Landwirtschaftsminister; gegenüber, durch des Tisches breiteste Wölbung von ihnen getrennt, der Sozialminister und der Minister für Bundesangelegenheiten. Der Sozialminister? Ohne Zweifel ist es eine Frau, eine nach allen Seiten frohgemute Mütterlichkeit verströmende zumal, die gerade lebhaft plaudernd auf ihren Platz zusteuert. Aber als Amtsinhaber ist sie ›Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales‹, so steht es auf allen Schriftstücken, die sie unterzeichnet, und als Amtsinhaber ist sie schließlich hier. Auch die Partei wird noch lange darauf achten, daß Geschlecht und Funktion nicht ungebührlich vermischt werden.
    Einen hätten wir fast übersehen, obwohl der, mit eingezogenem Genick und angewiderter Miene seinen Stuhl requirierend, ohne sich am allgemeinen Hallo! und Wie geht’s? zu beteiligen, alles tut, um hervorzustechen – eine bemerkenswert isolierte und ruppige Person, die den foliantenschweren Kabinettsordner achtlos auf den Tisch schmeißt und sich sogleich hinter der neuesten Ausgabe des Handelsblatts vergräbt, so daß Nebensitzer Pullendorf einen Meter weit abrücken muß … Einmal, am ersten Tag schon, hat Bernhard Gundelach einen Fingerzeig auf diesen seltsamen und unglücklichen Menschen erhalten, ohne sich weiter darum zu bekümmern: Dort, wo der Flur im rechten Winkel abbiegt, hatte Andreas Kurz gesagt und schnell weitergesprochen, liegen die Büros des Staatssekretärs und seines Mitarbeiters. Danach war nie mehr die Rede gewesen von diesem Staatssekretär. Jetzt aber sitzt er hier, wie aus der Versenkung aufgetaucht, und würdigt kaum jemanden eines Blickes.
    Erst nach und nach, unwillig und widerstrebend, wird man dem Assessor Auskunft darüber geben, was es mit dem exzessiven Zeitungsleser auf sich hat – daß er, als er vor Jahren aufzog, draußen im Land vielen als Hoffnung galt: ein erfolgreicher Unternehmer, der sich mit der Politik einließ, obwohl es da für ihn nichts zu verdienen gab und er wahrscheinlich nicht einmal wußte, was B II, die Gehaltsstufe eines Staatssekretärs, in Mark und Pfennigen bedeutet. So jemand, dachte man und schrieb es in den Zeitungen, wird den Amtsschimmel galoppieren lehren und frischen Wind in muffige Stuben blasen! Erst recht dachte es der Staatssekretär und legte gleich richtig los. Es wimmelte Aufträge, Rücksprachen, Nachfragen und Neuerungen. – Ach, er kannte die Verwaltung nicht! Die Aufträge behandelte sie dilatorisch, die Rücksprachen blieben liegen, die Nachfragen wurden nicht beantwortet, die Neuerungen verstaubten. Ein Staatssekretär ist kein Dienstvorgesetzter, er hat zu bitten, nicht zu befehlen. Der politisierende Mittelständler hingegen war es von seinem Betrieb her umgekehrt gewohnt. Breisinger, des ewigen Zanks bald überdrüssig, versuchte ein paarmal zu vermitteln, dann schlug er sich

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