Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
paar abschließende Fotos und bedeutete anschließend Vinnie, den Leichnam wieder auf den Rücken zu drehen.
»Kannst du mit diesen tiefen Schnitten am Oberschenkel etwas anfangen?«, wollte Lou wissen und deutete auf zwei parallel verlaufende, tiefe Furchen auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels.
Jack machte zunächst ein Foto, dann besah er sich die Wunden und tastete sie ab. »Sie stammen in jedem Fall von einem scharfen Objekt«, sagte er nach einem Blick auf die glatten Wundränder. »Die Haut wurde durchgehend aufgetrennt. Ich schätze mal, die Verletzungen stammen von einer Schiffsschraube und sind garantiert postmortal. Ich kann keinerlei Einblutungen in das umgebende Gewebe erkennen.«
»Meinst du, das Opfer könnte erst von Bord geworfen und anschließend von einem Boot überfahren worden sein?«
Jack nickte, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von einer weitaus unauffälligeren Stelle gefesselt. Er stellte sich an die Knöchel und deutete auf einige seltsam geformte Hautabschürfungen.
»Was ist das?«, wollte Lou wissen.
»Ich weiß nicht genau«, entgegnete Jack. Er ging zur Arbeitsplatte und hob ein Präpariermikroskop von seinem Sockel. Dann untersuchte er mit auf die Tischplatte gestützten Ellbogen die Schürfwunden.
»Und?«, drängelte Lou.
»Es ist vielleicht ein bisschen gewagt«, meinte Jack zögerlich, »aber es sieht ganz danach aus, als ob seine Beine mit einer Kette gefesselt worden wären. Da sind nicht nur Abschürfungen, sondern auch entsprechend geformte Druckstellen zu sehen.«
»Die vor oder nach seinem Tod entstanden sind?«
»Auf jeden Fall nach seinem Tod. Ich kann auch hier keine Einblutungen erkennen.«
»Dann wäre es also denkbar, dass man ihn mit Ketten an ein Gewicht gefesselt und ins Wasser geworfen hat und dass er eigentlich unten bleiben sollte. Könnte sein, dass da jemand Mist gebaut hat.«
»Könnte sein«, meinte Jack. »Ich mache mal ein Foto von der Stelle, auch, wenn man wahrscheinlich gar nichts erkennen kann.«
»Wenn da wirklich jemand Mist gebaut hat, dann könnte entscheidend sein, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt«, sagte Lou.
»Wieso denn das?«
»Falls es sich um einen Bandenkrieg handelt, dann wird es noch mehr Leichen geben. Und ich hätte gern, dass sie alle an die Oberfläche kommen.«
»Unsere Lippen sind versiegelt«, meinte Jack.
»Können wir jetzt vielleicht mal weitermachen?«, beschwerte sich Vinnie. »Wenn ihr beiden alten Tratschtanten in dem Tempo weitermacht, dann stehen wir den ganzen Tag hier rum.«
Jack ließ die Arme sinken und starrte Vinnie mit entsetzter Miene an. »Halten wir den Super-Pathologieassistenten etwa von etwas Wichtigerem ab?«, erkundigte er sich.
»Ja, genau. Von einer Kaffeepause.«
Jack blickte zu Lou hinüber und sagte: »Jetzt siehst du mal, unter welchen Bedingungen ich hier arbeiten muss. Der Laden hier ist eindeutig auf dem absteigenden Ast.« Dann fasste er nach oben, stellte das Mikrofon ein und fing an, seinen Untersuchungsbericht zu diktieren.
Laurie schob David Jeffries’ Akte in den Umschlag zurück. Zu den Unterlagen gehörten eine Liste mit allen notwendigen Arbeitsschritten, sein erst zum Teil ausgefüllter Totenschein, ein Verzeichnis seiner Patientenverfügungen und anderer medizinischjuristischer Unterlagen, zwei Blätter für Notizen während der Obduktion, eine Abschrift des genauen Wortlautes der Todesnachricht, die die Telefonzentrale entgegengenommen hatte, das vollständig ausgefüllte Formular mit seinen persönlichen Daten, der Untersuchungsbericht des kriminaltechnischen Assistenten, der Laborzettel für den HIV-Test sowie die Bestätigungen dafür, dass er gewogen, dass seine Fingerabdrücke genommen, er fotografiert und geröntgt worden war. Sie hatte sich die Unterlagen mehrfach durchgelesen, genau wie bei ihrem zweiten Fall, Juan Rodriguez, aber Jeffries interessierte sie sehr viel mehr.
Mit dem angenehmen Gefühl, angemessen vorbereitet zu sein, machte sie sich auf den Weg zum hinteren Fahrstuhl. Schon vor einer Viertelstunde hatte sie im Büro der Leichenhalle angerufen und glücklicherweise Marvin Fletcher am Apparat gehabt. Sie hatte seine Stimme sofort erkannt und sich gefreut, denn Marvin war ihr Liebling unter den Pathologieassistenten. Er war effizient, intelligent, erfahren, arbeitswillig und immer gut gelaunt. Es gab auch launische Assistenten wie zum Beispiel Miguel Sanchez oder diejenigen, die sich immer in Zeitlupe zu bewegen schienen
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