Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, etliche altmodische, geschliffene Kristallgläser sowie ein polierter Mahagoni-Humidor mit einem bündig eingelassenen Luftfeuchtigkeitsmesser. An der Wand hing ein Flachbildschirm, über dessen unteren Rand Börsenkurse wanderten, während darüber stumme Köpfe ihre Münder bewegten.
Allein der Anblick ihres ehemaligen Gatten ließ ihr das Herz schneller schlagen, allerdings bestimmt nicht, weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Obwohl sie zugeben musste, dass er mit seinem grobkantigen, rechteckigen Gesicht und den anthrazitfarbenen, zurückgegelten Haaren eine gewisse, irgendwie düstere Attraktivität ausstrahlte. Mit der einen Hand hielt er das Telefon, während er mit der anderen wild in der Gegend herumgestikulierte. Offensichtlich versuchte er, irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen.
Angela und er hatten sich während des Studiums an der Columbia University kennengelernt, als sie noch im Vorstudium und er bereits im Hauptstudium war, er hatte ihr Herz im Sturm erobert. Sie hatte geglaubt, dass er genau der Mann war, nach dem sie sich immer gesehnt hatte. Er war ohne Zweifel maskulin, ein guter Student, irgendwie auch rebellisch, direkt, machte einen ehrlichen Eindruck, war beliebt bei und loyal gegenüber seinen Freunden, den alten genauso wie den neuen, war leidenschaftlich und freimütig in Bezug darauf, wie sehr er sich zu ihr hingezogen fühlte, bewies mit kleinen Gesten wie Blumensträußen zu besonderen Gelegenheiten seinen Hang zur Romantik und hatte – was ihr besonders wichtig war – keine Angst davor, seine Gefühle zu zeigen. Kurz gesagt, er war das genaue Gegenteil ihres Vaters, und das war ein Persönlichkeitsprofil, das Angela von jedem potenziellen Kandidaten für eine längere Beziehung erwartete. Sogar seine Herkunft aus dem Arbeitermilieu und seine Treue gegenüber seinen Freunden aus der Highschool, von denen nur wenige das College besucht hatten, wusste sie zu schätzen. Daraus schloss sie auf sein positives Wertesystem. Der einzige kleine Kratzer in ihrem Bild von Michael entstand, als er ihr eines Abends erzählte, dass sein dominanter Vater in seinem übersteigerten Ehrgeiz, seine beiden Söhne an einer Eliteuniversität unterzubringen, alles andere als zurückhaltend mit dem Gürtel umgegangen sei. Aber da dieses Verfahren zwar nicht bei Michaels älterem Bruder, jedoch bei Michael selbst Erfolg gezeigt hatte, ignorierte Angela das alte Sprichwort: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Das war ein Fehler. Der prophetische Charakter dieser Worte sollte sich bald schon aufs Abscheulichste herausstellen.
»Also gut, also gut!«, sagte Michael schließlich und schlug mit seiner freien Hand ein paar Luftlöcher, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. »Ich erwarte Ihren Anruf!« Er brachte den Telefonhörer knapp zehn Zentimeter über der Gabel in Position und ließ ihn fallen. »Gott, manche Leute sind solche Arschlöcher!«
Angela hielt klugerweise den Mund.
»Also dann«, sagte Michael anschließend und erhob sich zu seiner vollen Größe von einem Meter neunzig. »Was gibt’s?« Er kam um seinen Schreibtisch herum, schnappte sich einen Stuhl, beförderte ihn mit Schwung an den Kaffeetisch hinüber und setzte sich rittlings darauf. Die gekreuzten Arme auf die Stuhllehne gelegt, musterte er Angela mit einem spöttisch-herausfordernden Lächeln, das bedauerlicherweise so viele ungute Erinnerungen in Angela hervorrief, dass sie ihren ursprünglichen Plan, nämlich das Gespräch strikt auf die verzweifelte finanzielle Situation ihres Unternehmens zu beschränken und anschließend sofort zu gehen, spontan änderte. Stattdessen sagte sie: »Zunächst einmal sollten wir ein paar kleinere Dinge besprechen.«
»Okay. Was stellst du dir unter kleineren Dingen vor?«
»Wie, um alles in der Welt, kannst du unserer zehnjährigen Tochter erlauben, sich den Bauchnabel piercen zu lassen, ohne vorher mit mir Rücksprache zu halten?«
»Die Kleine möchte es gerne. Warum nicht?«
»Und das reicht als Begründung aus?«, hakte Angela nach, ohne ihr ungläubiges Staunen zu verbergen. »Dass sie es gerne möchte?«
»Sie hat gesagt, alle ihre Freundinnen hätten eins.«
»Und du hast ihr geglaubt?«
»Wieso denn nicht? Ist doch grade im Trend.«
Angela wusste instinktiv, dass jede Fortsetzung dieses Gesprächs reine Zeitverschwendung wäre. Michael war nie ein guter Vater gewesen – so wenig wie ein guter Ehemann. Erst nach
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