Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
wesentlich erfolgversprechender war, die private Handynummer eines Kollegen zu wählen als die regulären internen Nummern. Sie fragte sich, ob Vinnies Laune sich inzwischen gebessert hatte. Er antwortete nach dem ersten Klingeln.
»Was ist mit meinem asiatischen John Doe?«, fragte Laurie. »Ist er für den zweiten Durchgang fertig?«
»Gleich wird ein Tisch frei«, antwortete Vinnie. »Es sollte nicht länger als etwa eine halbe Stunde dauern.«
»Fantastisch! Soll ich einfach in dreißig Minuten runterkommen, oder rufst du mich an, wenn’s so weit ist?«
»Wenn es dir nichts ausmacht, bitte ich Marvin darum, dich anzurufen«, sagte Vinnie und fühlte sich schuldig an der angsteinflößenden Situation, in der er gefangen war. Wenn er zu Laurie ging, die Verantwortung für den Drohbrief übernahm und versuchte, sie zu überzeugen, in dessen Sinn zu handeln, dann würden er und/oder seine Familie, im Besonderen seine Töchter, schikaniert, wenn nicht sogar getötet werden. Wenn er nichts unternahm und Laurie sich die Botschaft nicht zu Herzen nahm, könnte sie umgebracht werden. Die Lage war zu verfahren und dabei, ihn in den Wahnsinn zu treiben. »Er ist jetzt frei, und ich weiß, dass ihr beide gerne zusammenarbeitet.«
»Wie du meinst!«, gab Laurie kurzangebunden zurück, und jetzt war sie wirklich sauer. Ihr kam es so vor, als ob Vinnie den ganzen Morgen versucht hätte, sie zu provozieren, und schließlich hatte er Erfolg damit.
Sie beruhigte sich wieder und wandte sich den vorbereiteten histologischen Proben zu. Als sie alle betrachtet hatte, insbesondere Gehirn und Herz, und auch hierbei nichts gefunden hatte, gab es keine Chance mehr, dass dies ein natürlicher Tod gewesen sein könnte, so dass ihrer Intuition nichts mehr widersprach. Die letzte Nacht hatte ihre Erregtheit über den Fall angefacht. Jetzt war sie geradezu entflammt worden durch das zusätzliche Rätsel, sowohl Opfer als auch Täter auf dem Tisch zu haben, was bedeuten könnte, dass diese Fälle tatsächlich das an den Tag bringen könnten, was Lou so fürchtete: einen Bandenkrieg innerhalb des Organisierten Verbrechens, da mindestens einer von beiden ein Yakuza war.
21
26. März 2010
Freitag, 10.13 Uhr
Vinnie war sich völlig im Klaren darüber, dass Laurie wusste, dass er sich heute absolut untypisch verhielt. Er gab sich zwar Mühe, das zu ändern, aber er schaffte es nicht. Sein Problem war, dass er die Vaccarros ohne zu zweifeln beim Wort nahm – er hatte in seinem Leben schon so viele Geschichten über sie gehört –, und Carlo und Brennan hatten seine Töchter bedroht. Vinnie konnte nicht anders, er nahm solche Drohungen ernst. Wer mit solchen Leuten zu tun hatte, konnte nur verlieren, und leider war der Gang zur Polizei keine Option.
Nachdem er sich aus der Aufgabe, Laurie zu helfen, herausgewunden hatte, beantwortete er reflexartig den nächsten Anruf, da er annahm, Laurie würde ihn noch einmal anrufen, weil sie es sich anders überlegt hatte. Stattdessen war es, sehr zu Vinnies Leidwesen, Carlo, der Vaccarro-Scherge.
»Guten Morgen, Vinnie, mein Kumpel«, meldete sich Carlo mit aufgesetzter Freundlichkeit. »Ich bin’s, wir haben uns gestern getroffen. Erinnern Sie sich?«
»Ja, allerdings«, bestätigte Vinnie. Er versuchte, normal zu klingen, scheiterte dabei aber auf ganzer Linie. Carlo war der letzte Mensch auf Erden, mit dem er sprechen wollte. Hätte er doch nur auf die Rufnummererkennung gesehen!
»Ich hätte da ein paar Fragen, wenn Sie kurz Zeit für mich haben.«
Vinnie hätte am liebsten gesagt, er hätte keine, aber das traute er sich nicht. Stattdessen bat er Carlo, einen Moment zu warten, bis er einen ruhigen Ort gefunden hätte. Schnell stahl er sich aus dem Büro, in dem einige seiner Arbeitskollegen gerade ihren ersten Kaffee tranken.
»Haben Sie heute Morgen schon Dr. Laurie Montgomery gesehen?«, fragte Carlo, als Vinnie ihm signalisierte, dass sie unter sich waren.
»Ja, habe ich. Ich habe bereits eine Autopsie mit ihr gemacht.«
»Sehr gut«, sagte Carlo. »Und wie hat sie sich benommen?«
»Ganz normal. Nicht so wie ich.«
»Ach, tut mir leid, das zu hören. Ich kann nur hoffen, dass Ihre Verstimmung nichts mit uns zu tun hat.«
»Es hat ausschließlich mit Ihnen zu tun«, sagte Vinnie in der vagen Hoffnung, dass sie ihn in Ruhe lassen würden, wenn er ehrlich wäre. »Gestern sagten Sie mir, Sie wollten mir nur ein paar Fragen stellen, und auf einmal haben Sie mich dazu gebracht,
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