Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
verarbeitet wurde.
»Kein Problem«, sagte Jack. »Wie geht es dir?«
»So gut man eben erwarten kann.«
»Es wird alles glatt gehen«, versicherte Jack.
Ja klar, sagte Laurie im Stillen zu sich selbst. Sie folgte ihm die Treppenstufen hinauf, und beide gingen durch die Eingangstür. Sie betrat das Foyer, und es war wie ein Déjà-vu: Da stand noch immer dasselbe erschöpft wirkende Sofa, davor derselbe Beistelltisch, auf dem ein Haufen alter Magazine, teilweise ohne Umschläge, lag. Sie sah dieselben verschlossenen Türen, die zu dem Raum führten, in dem die Toten identifiziert wurden, und zu den Büros des Chef-Gerichtsmediziners und der Personalchefin.
Und tatsächlich stand auch noch immer derselbe Empfangstresen dort, an dem Marlene Wilson regierte, eine freundliche Afroamerikanerin, die immer fröhlich und herzlich war und deren makelloser Teint ihr wahres Alter nicht erahnen ließ.
»Dr. Montgomery!«, entfuhr es Marlene, als sie Laurie erblickte. »Willkommen zurück«, rief sie mit offensichtlicher Freude. Ohne auch nur im Geringsten zu zögern, glitt sie von ihrem Hocker, kam hinter ihrem Tresen hervor und drückte Laurie in einer kräftigen Umarmung an sich. Zuerst war Laurie perplex über Marlenes Enthusiasmus, aber sie entspannte sich schnell und genoss den herzlichen Empfang. Das tat ihr gut, und Marlenes Reaktion auf Lauries Erscheinen wurde an diesem Tag von fast allen wiederholt, auf die Laurie stieß.
Im Identifizierungsraum, in dem Verwandte mit Fotos oder gar den Körpern der Verstorbenen konfrontiert wurden, sofern sie darauf bestanden, trafen Laurie und Jack auf Dr. Arnold Besserman, der seit mehr als dreißig Jahren beim OCME arbeitete. Da er mit dem Bereitschaftsdienst an der Reihe war, saß er gerade an dem alten, verbeulten Metalltisch und arbeitete sich durch die neuesten Zugänge. Man sah sofort, dass die letzte Nacht im Big Apple ruhig gewesen war, da nur ein kleiner Haufen Fallmappen darauf wartete, von ihm bearbeitet zu werden.
Wie Marlene, wenngleich nicht ganz so leidenschaftlich, stand Arnold auf, als Laurie hereinkam, und umarmte sie herzlich.
Außerdem befand sich noch Vinnie Amendola, einer der gerichtsmedizinischen Assistenten im Raum. Er kam üblicherweise eine halbe Stunde früher für die Übergabe der beiden Assistenten der Nachtschicht, aber was er eigentlich machte, war, die riesige Kaffeemaschine anzuwerfen, um für alle Kaffee zuzubereiten. Er musste warten, bis Arnold zur Seite trat, bevor er Laurie begrüßen konnte, anschließend zog er sich zu einem alten, ledernen Sessel und der Daily News zurück. Er und Jack standen sich sehr nahe, was manchmal schwer zu glauben war, wenn man einem ihrer verbalen Schlagabtausche lauschte. Vinnie und Jack begannen ihre Obduktionen meistens eine Stunde vor den anderen.
»Was haben wir denn heute?«, fragte Jack und folgte Arnold zu seinem Schreibtisch.
»Nicht viel«, war Arnolds vage Antwort. Er wusste sehr wohl, was Jack im Sinn hatte – sich die Rosinen herauszupicken –, was ihm immer schon sauer aufgestoßen war im Gegensatz zu den anderen Medizinern, die Jack diese Angewohnheit verziehen, da er die meisten Fälle bearbeitete. Zwischen ihnen bestand eine Feindschaft, da Jack Arnold als Drückeberger betrachtete, der einfach nur seine Zeit absaß, so wenig wie möglich arbeitete, bis er endlich sein Pensionsalter erreichen und die höchstmöglichen Bezüge einstreichen würde, die er eigentlich nicht verdient hatte.
Trotz Arnolds verwarnenden Blickes blätterte Jack die Akten durch, sah sich rasch die jeweilige Todesursache an, wie zum Beispiel SV (Schussverletzung), ›unerwartet‹ bei Krankenhauspatienten, Unfall, Selbstmord, Mord oder auf andere Weise verdächtig.
Arnold stützte seine Hände auf die Hüften und hatte einen verdrossenen, ungeduldigen Gesichtsausdruck, während er den pfeifenden Jack weitermachen ließ, ohne ihm seine Hilfe anzubieten, was ein Leichtes für ihn gewesen wäre, da er selbst bereits einen Überblick über die Fälle hatte.
Obwohl er noch immer in seine schnelle Einschätzung des aktuellen Arbeitsumfanges vertieft war, wurde sich Jack der Anwesenheit einer weiteren Person bewusst. In einem der Sessel, dem Heizkörper zugewandt, saß eine männliche Figur dermaßen in sich zusammengesackt, dass nur der oberste Rand seines Hutes von hinten über dem Sesselrand zu sehen war. Seine einzigen anderen, sichtbaren Teile waren seine abgewetzten Schuhe, die auf dem Heizkörper lagen. In der
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