Montgomery u Stapleton 01 - Blind
Material, das die Teams gesammelt haben", erklärte Norman.
"Großer Gott", stöhnte Lou. "Das sind doch mindestens fünfhundert Seiten."
"Gut vierhundert", korrigierte Norman. "Mir ist noch nichts aufgefallen, aber ich dachte, Sie sehen besser auch mal rein. Und Sie fangen am besten gleich an: Es kommt noch mehr, wenn wir weitere Personen befragen."
"Was macht die Ballistik?" fragte Lou.
"Sie sind noch nicht bis zu uns vorgedrungen", erklärte Norman. "Sie sitzen noch an den Morden vom letzten Monat. Aber die ersten Meinungen gehen dahin, daß es nur zwei Waffen waren: eine Zweiundzwanziger und eine Fünfundzwanziger."
"Was ist mit der Haushälterin?"
"Sie lebt, ist aber noch bewußtlos", sagte Norman. "Sie hat einen Kopfschuß und liegt im Koma."
"Wird sie bewacht?"
"Selbstverständlich. Rund um die Uhr."
Nachdem Laurie mit ihrer Schreibarbeit endlich etwas weitergekommen war, stapelte sie die abgeschlossenen Fälle schön säuberlich aufeinander. Das war also erledigt, und sie nahm sich jetzt die Unterlagen der Überdosisfälle vor. Sie überflog sie und nahm drei Mappen heraus: Duncan Andrews, Robert Evans und Marion Overstreet. Das waren die Fälle, die sie am Dienstag und Mittwoch obduziert hatte. Sie schrieb die Adressen auf und legte die Mappen beiseite.
Laurie ging genauso vor wie am Morgen. Nur hatten die Portiers, die sie befragen wollte, diesmal Dienst.
Die Ergebnisse in den Fällen Evans und Overstreet waren enttäuschend. Keiner der beiden Portiers konnte ihr sonderlich viel über den fraglichen Abend sagen. Bei Duncan Andrews war es anders.
Als das Taxi vor dem Gebäude hielt, erkannte Laurie die blaue, muschelartige Leinenmarkise und die schmiedeeiserne Tür von ihrem letzten Besuch, und sie erkannte auch den Portier wieder. Es war derselbe, der bei ihrem letzten, verpatzten Besuch Dienst gehabt hatte. Doch das hielt sie nicht ab. Obwohl sie es entfernt für möglich hielt, daß Bingham von ihrem Besuch erfahren könnte, war sie bereit, es zu riskieren.
"Kann ich Ihnen helfen?" fragte der Portier. Er schien sie nicht wiederzuerkennen.
"Ich bin vom Gerichtsmedizinischen Institut", sagte Laurie.
"Mein Name ist Dr. Montgomery. Erinnern Sie sich, daß ich am Dienstag hier war?"
"Ich glaube, ja", sagte der Mann. "Ich heiße Oliver. Kann ich etwas für Sie tun? Möchten Sie noch einmal in die Wohnung von Mr. Andrews?"
"Nein, ich möchte niemanden stören", sagte Laurie. "Ich möchte Sie etwas fragen. Haben Sie Sonntagabend Dienst gehabt?"
"Ja, das habe ich", bestätigte Oliver. "Meine freien Tage sind Montag und Donnerstag."
"Erinnern Sie sich, Mr. Andrews an dem Abend gesehen zu haben, an dem er starb?"
"Ich glaube, ja", sagte er, nachdem er kurz nachgedacht hatte.
"Ich habe ihn fast jeden Abend gesehen."
"Wissen Sie noch, ob er allein war?" fragte Laurie.
"Das kann ich Ihnen nicht sagen", erklärte Oliver. "Bei so vielen Menschen, die hier ein und aus gehen, kann ich mich an so etwas kaum erinnern, erst recht nicht fast eine Woche danach. Vielleicht wenn es am selben Tag ist oder etwas Besonderes geschieht. Warten Sie mal!" rief er plötzlich. "Vielleicht erinnere ich mich doch. An einem Abend ist Mr. Andrews mit irgendwelchen Leuten nach Hause gekommen. Ich erinnere mich wieder, weil er mich mit dem falschen Namen ansprach. Er hat den Namen des Hausmeisters genannt."
"Kannte er Ihren Namen?" fragte Laurie.
"Aber sicher", sagte Oliver. "Ich war schon hier, bevor er einzog. Das ist fünf Jahre her."
"Wie viele Männer waren bei ihm?"
"Zwei, glaube ich. Oder drei."
"Aber Sie wissen nicht genau, an welchem Abend?" fragte Laurie.
"Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen", erklärte Oliver.
"Aber ich weiß, daß er mich Juan nannte, und das wunderte mich. Er wußte doch, daß ich Oliver heiße."
Laurie dankte Oliver und fuhr nach Hause. Was war von dieser seltsamen Reihe von Ähnlichkeiten zu halten? Wer waren diese beiden Männer? Waren es jedesmal dieselben gewesen? Und was hatte es zu bedeuten, daß ein junger, intelligenter, dynamischer Mann den Portier seines Hauses mit dem Hausmeister verwechselte? Wahrscheinlich gar nichts. Vielleicht hatte Duncan vorgehabt, Juan wegen eines Schadens in seiner Wohnung anzurufen, als er nach Hause gekommen war.
Als Laurie zu ihrer Wohnung zurückkehrte, warf sie auf dem Weg zum Aufzug einen prüfenden Blick auf das Innere des Hauses. Sie sah die gesprungenen und abgesplitterten Bodenfliesen und die abblätternde Farbe an den
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