Montgomery u Stapleton 01 - Blind
auf Duncans Augenlider und zog sie hoch.
Lou rang nach Luft und wandte sich ab.
Einen Augenblick war selbst Laurie erschrocken. Die Augen waren nicht mehr da! Die fleischig roten Augenhöhlen waren mit rosafleckigen Gazebauschen ausgefüllt. Es gab der Leiche ein gräßliches Aussehen.
"Okay!" sagte Lou. "Sie haben gewonnen. Sie haben mich geschafft und haben gewonnen. Das muß ich Ihnen lassen." Er drehte sich wieder zu Laurie um. Das bißchen Haut, das zwischen Maske und Haube zu sehen war, war kreidebleich. "Ich nehme an, das war eine Art Aufnahmeprüfung für den Neuling."
Laurie stieß ein kurzes, nervöses Lachen aus. "Es tut mir leid, Lou", beteuerte sie. "Ich hatte vergessen, daß die Augen entfernt worden sind. Wirklich. Der Mann hatte sich als Organspender eintragen lassen. Wenn man die Augen innerhalb von zwölf Stunden entnimmt, können sie häufig verwertet werden, falls keine sonstigen Kontraindikationen bestehen. Gelegentlich können es sogar mehr als zwölf Stunden sein, wenn der Körper gekühlt wird."
"Es macht mir nichts, Zielscheibe für einen Scherz zu sein", sagte Lou.
"Aber es war kein Scherz", beharrte Laurie. "Es tut mir leid. Ehrlich. Ich bin gestern wegen diesem Fall angerufen worden. Und bei dem ganzen Rummel hatte ich es vergessen. Ich wußte nur noch, daß dies ein Fall war, wo das Opfer Kokain intravenös genommen hatte. Mal sehen, ob wir die Einstichstelle finden."
Laurie drehte Duncans rechten Arm um, so daß sie die Innenseite untersuchen konnte. Vinnie machte das gleiche mit dem linken Arm. "Da ist es", sagte Laurie und zeigte auf eine winzige, runde Wunde auf einer der Venen im Ellbogenbereich.
"Ich wußte gar nicht, daß man sich Kokain auch spritzen kann", sagte Lou.
"Es wird auf sämtliche Arten in den Körper gebracht, die Sie sich vorstellen können, und auch auf einige, die Sie sich nicht vorstellen können", erklärte Laurie. "Intravenös ist zwar nicht üblich, aber es wird gemacht." Während sie sprach, wanderten ihre Gedanken zurück zu jenem Abend, bevor sie Shelly tot in seinem Schlafzimmer gefunden hatte. Er war gerade von Yale nach Hause gekommen, und Laurie war bei ihm im Zimmer, begierig, etwas über das College zu hören. Seine Tasche lag offen auf dem Bett.
"Was ist das?" wollte Laurie wissen. Sie hielt eine Packung Kondome hoch.
"Gib das sofort her!" rief Shelly, offensichtlich verärgert, daß seine kleine Schwester so etwas in seinen Sachen gefunden hatte.
Laurie kicherte, als Shelly ihr die Präservative aus der Hand riß. Während er noch damit beschäftigt war, sie in der obersten Schublade seiner Kommode zu verstauen, durchsuchte Laurie weiter seine Tasche, um zu sehen, was es sonst noch zu entdecken gab. Doch was sie sah, war eher beunruhigend als fesselnd. Ganz behutsam zog Laurie eine Einwegspritze aus dem Waschbeutel. Es war dieselbe, die sie am nächsten Tag sehen sollte.
"Was ist das?" wollte sie wissen.
Shelly kam herüber und versuchte, ihr die Spritze wegzunehmen, doch Laurie wich ihm aus.
"Die hast du aus Papas Praxis, stimmts?" fragte Laurie.
"Gib das her, sonst kriegst du echte Schwierigkeiten", fuhr Shelly sie an. Er drängte sie an die Wand.
Laurie hielt die Spritze mit beiden Händen hinter ihrem Rücken. Da sie in New York aufgewachsen war, wußte sie, wozu die Spritze benutzt wurde.
"Spritzt du?" fragte sie.
Shelly überwältigte sie und entwand ihr die Spritze. Er trug sie zur Kommode und packte sie zu den Kondomen. Dann drehte er sich zu seiner Schwester um, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte.
"Ich habs ein paarmal versucht", sagte Shelly. "Es heißt Speedball. In der Schule machen das viele. Ist nichts Besonderes. Aber ich möchte nicht, daß du Mom oder Dad was erzählst. Wenn du das tust, rede ich nie wieder ein Wort mit dir. Verstehst du? Nie wieder."
Lauries kurze Tagträumerei wurde durch Calvin Washingtons dröhnende Stimme abrupt beendet. "Was wird denn hier gespielt?" ereiferte er sich. "Warum haben Sie noch nicht angefangen? Ich komme her, um zu sehen, ob Sie was entdeckt haben, was uns weiterhelfen kann, und Sie haben noch nicht mal begonnen. Also los jetzt."
Laurie war plötzlich wieder bei der Sache. Sie führte die äußere Untersuchung zu Ende, bei der sie außer den anderen Anzeichen nur ein paar flächenartige Blutergüsse an Duncans Oberarmen feststellte. Dann griff sie zum Skalpell und machte routiniert den Y-förmigen Einschnitt von den Schultern bis zum Schambein. Unterstützt von
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