Montgomery u Stapleton 01 - Blind
fluchend, stolzierte sie aus dem Labor. Da spürte sie, wie eine Hand nach ihrem Arm griff, und sie wirbelte herum, bereit, John DeVries zu ohrfeigen, daß er es wagte, sie anzurühren. Aber es war nicht John. Es war einer seiner jüngeren Assistenten, Peter Letterman.
"Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?" fragte Peter. Er blickte besorgt über die Schulter.
"Natürlich", sagte Laurie.
"Kommen Sie in mein Kabuff", sagte Peter und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Sie traten in einen Raum, in dem kaum genug Platz war für einen Schreibtisch, ein Computerterminal, einen Aktenschrank und zwei Stühle. Peter schloß die Tür hinter ihr.
Er war ein hagerer, schlaksiger blonder Bursche mit feinen, etwas weichen Gesichtszügen und intensiven Augen der typische graduierte Student, dachte Laurie. Unter dem weißen Laborkittel trug er ein am Hals offenes Flanellhemd.
"Es ist etwas schwierig, mit John auszukommen", begann er.
"Das ist leicht untertrieben", erwiderte Laurie.
"Viele Künstler sind so", fuhr Peter fort. "Und John ist eine Art Künstler. Was die Chemie und insbesondere die Toxikologie betrifft, ist er ein As. Ich habe Ihre Unterhaltung notgedrungen mit angehört. Ich glaube, einer der Gründe, warum er es Ihnen so schwermacht, ist, daß er die Verwaltung von der Notwendigkeit überzeugen möchte, seinen Etat zu erhöhen. Er verzögert bewußt einige Berichte, und meistens ist das nicht weiter schlimm. Ich meine, die Leute sind tot. Aber wenn Ihre Vermutungen zutreffen, hört sich das ja so an, als ob wir zur Abwechslung mal bei den Lebensrettern mitmachen könnten. Ich möchte Ihnen deshalb helfen. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, auch wenn ich ein paar Überstunden machen müßte."
"Das wäre schön, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, Peter", sagte Laurie.
Peter lächelte verlegen. "Wir waren auf der gleichen Schule", sagte er.
"Wirklich? Wo denn?"
"Wesleyan. Ich war zwei Jahre unter Ihnen, aber ein Fach hatten wir gemeinsam. Physikalische Chemie."
"Tut mir leid, aber ich erinnere mich nicht an Sie", sagte Laurie.
"Na ja, ich war damals ein ziemlich mickriges Bürschchen. Auf jeden Fall gebe ich Ihnen Bescheid, ob ich was erreiche."
Laurie kehrte in ihr Büro zurück und sah die Menschheit nach Peters großzügigem Hilfsangebot wieder beträchtlich zuversichtlicher. Sie ging die Autopsiemappen des heutigen Tages durch, stieß aber nur bei zwei Fällen auf einige Unklarheiten, die denen im Fall Marion Overstreet ähnelten. Der Ordnung halber rief sie Cheryl an und bat sie, die Fragen zu klären.
Nachdem Laurie sich umgezogen hatte, fuhr sie nach unten in den Sektionssaal. Vinnie hatte Stuart Morgan bereits "auf dem Tisch". Sie machten sich unverzüglich an die Arbeit.
Die Obduktion verlief glatt. Sie beendeten gerade die Untersuchung der inneren Organe, als Cheryl Myers hereinkam, eine Maske vor ihr Gesicht haltend. Laurie blickte rasch umher, um sicher zu sein, daß Calvin nicht in Sicht war, denn Cheryl hatte keine Schutzkleidung an. Glücklicherweise war er nicht im Saal.
"Ich hatte Glück mit Marsha Schulman", sagte sie und hielt mehrere Röntgenaufnahmen hoch. "Sie ist im Manhattan General behandelt worden, weil sie für einen der Ärzte dort gearbeitet hat. Sie hatten neuere Brustaufnahmen, die sie gleich rübergeschickt haben. Soll ich sie mal einspannen?"
"Bitte", sagte Laurie. Sie wischte die Hände an der Schürze ab und folgte Cheryl zur Röntgenbildwand. Cheryl steckte die Aufnahmen in die Halterung und trat zur Seite.
"Sie wollen sie sofort zurückhaben", erklärte sie. "Die Röntgenassistentin hat mir einen Gefallen getan und sie ohne Erlaubnis rausgegeben."
Laurie betrachtete die Röntgenbilder. Es waren zwei Jahre alte Aufnahmen der Brust von vorn und von der Seite. Die Lunge war klar und normal. Auch das Herz sah normal aus. Enttäuscht wollte Laurie Cheryl schon bitten, die Aufnahmen wieder abzuhängen, als ihr Blick auf das Schlüsselbein fiel. Das rechte Schlüsselbein wies auf zwei Dritteln seiner Länge eine kleine Kante auf und trat auf der Aufnahme etwas stärker hervor. Marsha Schulman hatte sich irgendwann einmal das Schlüsselbein gebrochen. Der Bruch war zwar gut verheilt, aber es war eindeutig ein Bruch gewesen.
"Vinnie", rief Laurie. "Lassen Sie sich die Röntgenaufnahmen bringen, die wir von der Schwimmerin ohne Kopf gemacht haben."
"Haben Sie was entdeckt?" fragte Cheryl. Laurie wies auf den Bruch und erklärte Cheryl, warum er auf der Aufnahme so
Weitere Kostenlose Bücher