Montgomery u Stapleton 01 - Blind
Schrei, und der Ehemann stürmte mit einer großkalibrigen Doppelflinte die Treppe herauf. Er hielt das Gewehr mit beiden Händen in Brusthöhe.
Angelo ahnte, was kommen würde, und warf sich in dem Augenblick zu Boden, als die Flinte mit einem gewaltigen Knall losging. Die Detonation wirkte in dem engen Treppenhaus betäubend. Die geballte Schrotladung riß ein dreißig Zentimeter großes Loch in die Wand, wo Angelo eben noch gestanden hatte.
Auch Tony hatte reflexartig reagiert und sich zur Seite geworfen, um nicht in der offenen Schlafzimmertür zu stehen. Der zweite Gewehrschuß ging mitten durch das Schlafzimmer und durchschlug eines der hinteren Fenster.
Aus seiner Position am Boden schoß Angelo in schneller Folge zweimal mit seiner Walther und traf den Mann in die Brust und das Kinn. Die Wirkung der Schüsse stoppte die Vorwärtsbewegung des Mannes. Dann kippte er wie in Zeitlupe nach hinten. Mit einem entsetzlichen Lärm fiel er die Treppe hinunter und blieb unten auf dem Boden liegen.
Tony tauchte aus dem Schlafzimmer auf und lief die Treppe hinunter, um dem am Boden liegenden Mann noch eine Kugel in den Kopf zu jagen. Angelo rappelte sich auf und griff seine Reisetasche. Er zitterte. Noch nie war er dem Tod so nah gewesen. Mit wackligen Beinen eilte er die Treppe hinunter und rief Tony zu, daß sie so schnell wie möglich hier verschwinden müßten.
Als sie an die Vordertür kamen, stellte Angelo sich auf die Zehenspitzen, um hinauszuschauen. Was er sah, gefiel ihm gar nicht. Vor dem Haus hatte sich eine Handvoll Menschen angesammelt, die nach oben blickten. Zweifellos hatten sie das Splittern der Scheibe gehört, als das Schlafzimmerfenster herausgeschossen worden war. Vielleicht hatten sie auch beide Schüsse gehört.
"Hinten raus!" rief Angelo. Er wußte, daß sie das Risiko einer Auseinandersetzung mit diesen Leuten nicht eingehen konnten. Ohne Mühe stiegen sie über den Maschendrahtzaun im Hof hinter dem Haus, der nicht einmal mit Stacheldraht gesichert war. Dann liefen sie durch einen benachbarten Hof weiter zu einer anderen Straße. Angelo war froh, daß er den Wagen so weit weg geparkt hatte. Sie schafften es ohne Zwischenfälle bis zum Auto. Als sie losfuhren, hörten sie in der Ferne die ersten Sirenen.
"Was war denn das für ein Hund?" fragte Tony, als sie die Sixth Avenue entlangfuhren.
"Ich glaube, es war ein Dobermann", sagte Angelo. "Ich hatte wahnsinnigen Schiß."
"Nicht nur du", gestand Tony. "Und dann die Knarre. Das war knapp."
"Zu knapp. Wir hätten nach dem ersten Ding Schluß machen sollen." Angelo schüttelte widerwillig den Kopf. "Vielleicht werde ich zu alt für so was."
"Quatsch", widersprach Tony. "Du bist der Beste."
"Das hab ich auch mal gedacht", sagte Angelo. Verzweifelt blickte er an seinem zerfetzten Brioni-Sakko hinunter. Gewohnheitsmäßig warf er einen kurzen Blick in den Rückspiegel, aber nichts von dem, was er sah, beunruhigte ihn. Natürlich hielt er nach Polizeiautos Ausschau, nicht nach Franco Pontis Limousine, die ihnen in diskretem Abstand folgte.
10
Freitag, 6.45 Uhr
Manhattan
Eigentlich war es Laurie ganz lieb, daß sie die Nacht hatte durchschlafen können. Niemand hatte angerufen und von weiteren Fällen für ihre Serie berichtet. Lag das nun daran, daß keine weiteren Fälle aufgetaucht waren, oder aber, wie sie vermutete, daß sie nur nicht verständigt worden war? Sie zog sich so schnell sie konnte an und gönnte sich nicht einmal einen Kaffee, so eilig hatte sie es, zur Arbeit zu kommen und Gewißheit zu erlangen.
Als sie das Institut betrat, wußte sie, daß irgend etwas Außergewöhnliches passiert war. Wieder war eine Gruppe Reporter in der Eingangshalle versammelt. Laurie spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, als sie sich fragte, was diese Hektik wohl zu bedeuten hatte.
Sie ging direkt zum ID-Büro und holte sich einen Becher Kaffee, bevor sie irgend etwas anderes unternahm. Vinnie war wie üblich in den Sportteil seiner Zeitung vertieft. Von den Ärzten war außer ihr offenbar noch niemand da. Sie nahm den Arbeitsplan vom Tisch, um zu sehen, was für Fälle heute anlagen.
Sie überflog das Blatt und stieß auf vier Überdosen. Zwei Fälle waren Riva zugeteilt, zwei George Fontworth, der schon vier Jahre im Institut war. Laurie blätterte die für Riva bestimmten Mappen durch und warf einen schnellen Blick auf das Blatt unter dem Untersuchungsbericht. Da es Harlemer Adressen waren, nahm Laurie an, daß es sich um die
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