Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
so ist, kannst du deine Terroristen-Theorie ja wohl vergessen«, sagte Laurie. »Es ist doch völlig ausgeschlossen, daß irgendjemand absichtlich Viren verbreitet, die nur in einem unbekannten natürlichen Reservoir existieren.« Jack starrte Laurie für ein paar Sekunden nachdenklich an. Sie hatte recht. Und er fragte sich, warum er nicht selbst zu diesem Schluß gekommen war.
»Ich will dir wirklich nicht die Suppe versalzen«, sagte sie. »Ist schon okay«, entgegnete er sichtlich verunsichert. Er dachte angestrengt darüber nach, ob es sich bei der Influenza tatsächlich um ein natürliches Phänomen handeln konnte und nur die anderen Krankheiten mutwillig verbreitet worden waren. Doch diese Denkrichtung verstieß gegen eine Kardinalregel der medizinischen Diagnostik: Bei jedem Problemfall war man als Arzt angehalten, nach einer Einzelerklärung zu suchen - so widersprüchlich und kompliziert er auch sein mochte.
»Dann nehme ich also auch Rimantadin«, sagte Laurie. Aber ich hoffe, daß auch du dein Versprechen hältst und daß wir in Kontakt bleiben. Wie ich gehört habe, will Calvin dir heute keine Autopsien zuweisen. Wenn du also auf die Idee kommen solltest, das Institut zu verlassen, bestehe ich darauf, daß du dich in regelmäßigen Abständen bei mir meldest.«
»Klingt so, als hättest du tatsächlich mit meiner Mutter gesprochen«, witzelte Jack. »Ja oder nein?«
»Okay«, sagte Jack. »Abgemacht.«
Nachdem Laurie gegangen war, machte er sich auf den Weg zum DNA-Labor. Er wollte unbedingt wissen, ob Ted Lynch schon etwas herausgefunden hatte. Außerdem war er froh, daß er einen Grund hatte, sein Büro für eine Weile zu verlassen. Auch wenn alle es gut mit ihm meinten - er hatte es langsam satt, daß jeder ihm schlaue Ratschläge erteilte. Gleich würde Chet eintreffen und ihn mit Sicherheit mit den gleichen Empfehlungen überhäufen, die er gerade von Laurie über sich hatte ergehen lassen müssen.
Unentwegt grübelte er über den Ursprung des Influenzavirus nach. Lag Laurie mit ihrer Feststellung richtig? Seine Theorie schien auf immer dünnerem Boden zu stehen. Jetzt hing wirklich alles davon ab, ob die Tests von National Biologicals positiv ausfielen. Reagierten sämtliche Proben negativ, konnte er kaum noch hoffen, seine Theorie beweisen zu können. Dann blieben ihm nur noch die zweifelhaften Proben, die Kathy McBane hoffentlich dem Abflußrohr im Zentralmagazin entnommen hatte. Als Ted Lynch Jack herannahen sah, tat er so, als wollte er sich hinter seiner Laborbank verstecken. »Mist, haben Sie mich also doch gefunden«, scherzte er, als Jack um die Bank herumkam. »Ich hatte gehofft, daß Sie erst heute nachmittag hier aufkreuzen.«
»Pech gehabt«, entgegnete Jack. »Ich muß heute nicht an den Seziertisch, und da habe ich beschlossen, Ihr Labor zu belagern.«
»Ich bin gestern sogar länger geblieben und habe heute morgen früher angefangen - nur um mich um Ihre Proben zu kümmern. Ich habe die Nukleoproteide soweit isoliert. Für den eigentlichen Test ist jetzt also alles vorbereitet. Geben Sie mir eine Stunde, dann müßte ich die ersten Ergebnisse haben.«
»Ist es Ihnen gelungen, von allen vier Proben Kulturen anzuzüchten?«
»Ja. Agnes war wie immer ziemlich auf Draht.«
»Ich bin in einer Stunde wieder hier.«
Um die Zeit totzuschlagen, ging Jack hinunter in die Leichenhalle, zog sich seinen Mondanzug über und betrat den Sektionssaal. Der morgendliche Betrieb war in vollem Gange. An sechs von acht Tischen wurde gearbeitet; die Obduktionen waren unterschiedlich weit vorangeschritten. Jack ging an den Tischen entlang, bis er eines der Opfer erkannte. Es war Gloria Hernandez. Er betrachtete ein paar Sekunden lang ihr blasses Gesicht und versuchte zu begreifen, daß sie tot war.
Die Autopsie wurde von Riva Mehta durchgeführt, die sich mit Laurie das Büro teilte. Sie war eine zierliche Frau indianischer Abstammung. Sie war so klein, daß sie während der Obduktion auf einem Schemel stehen mußte. Im Augenblick nahm sie sich den Brustraum der Toten vor.
Als sie die Lungen herausgetrennt hatte, bat Jack, sich die Schnittflächen etwas näher ansehen zu dürfen. Das Lungengewebe sah genauso aus wie bei Kevin Carpenter; es war mit winzigen Hämorrhagien gesprenkelt. Es gab nicht den geringsten Zweifel, daß auch Gloria an primärer Viruspneumonie gestorben war. Jack ging weiter zu Chet, der gerade den Krankenpfleger George Haselton untersuchte. Es überraschte ihn, Chet
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