Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
Nodelman und Mueller vermutet hatte. Doch auch diese Theorie schien fragwürdig, denn sie setzte voraus, daß die Infektionsdosis ungeheuer groß gewesen sein mußte. Wie viele infizierte Ratten konnten schon in dem Belüftungssystem hausen und alle zur gleichen Zeit die Bakterien aushusten?
Zurück im ID-Raum, nahm Jack dem etwas zögerlichen Vinnie den Sportteil der Daily News aus der Hand und forderte ihn auf, ihm hinunter in die Leichenhalle zu folgen. »Wieso stehst du eigentlich immer so früh auf der Matte?« klagte Vinnie. »Du bist der einzige, der so früh mit der Arbeit anfängt. Hast du denn kein Zuhause?«
Zur Antwort drückte Jack ihm die Akte von Katherine Mueller vor die Brust. »Kennst du nicht das Sprichwort ›Morgenstund’ hat Gold im Mund‹?«
»Ach, du Schande«, entgegnete Vinnie. Er öffnete die Akte. »Ist dies für heute morgen unser erster Fall?«
»Eigentlich ist es egal, mit welchem der beiden Fälle wir anfangen«, erwiderte Jack. »Bei diesem können wir ziemlich sicher davon ausgehen, daß das Opfer an Pest gestorben ist. Also sieh zu, daß dein Mondanzug auch wirklich dicht ist.«
Eine Viertelstunde später begann Jack mit der Autopsie. Zunächst nahm er das Äußere der Leiche sehr gründlich in Augenschein, wobei er vor allen Dingen nach Spuren von Insektenbissen Ausschau hielt. Das war allerdings kein leichtes Unterfangen, denn Katherine Mueller war eine übergewichtige, vierundvierzigjährige Frau mit Hunderten von Sommersprossen und anderen kleinen Hautflecken. Obwohl ihm einige Hautverletzungen verdächtig erschienen, war Jack sich bei keinem dieser Flecke sicher, ob es sich um einen Insektenbiß handelte. Vorsichtshalber fotografierte er sie alle. »Keine Gangrän zu entdecken«, bemerkte Vinnie. »Purpura auch nicht«, stellte Jack fest.
Als er mit der Untersuchung der inneren Organe begann, waren weitere Kollegen im Sektionssaal eingetroffen und hatten sich an ihre Arbeit gemacht. Einige konnten sich den Kommentar nicht verkneifen, daß Jack sich offenbar zum örtlichen Pest-Experten gemausert habe, doch Jack ignorierte das Gerede. Er war voll und ganz in seine Arbeit vertieft.
Mit ihrer fortgeschrittenen Lobärpneumonie, die Hepatisation und dem beginnenden Absterben von Gewebezellen ähnelten die Lungen von Katherine Mueller denen von Nodelman. Die Halslymphgefäße der Frau waren ebenso befallen wie die Lymphknoten im Bereich des Bronchialbaumes. »Ist ja wirklich beängstigend«, sagte Jack. »Das brauchst du mir nicht zu erzählen«, entgegnete Vinnie. »Immer wenn ich diese Infektionsfälle sehe, denke ich, daß ich besser Gärtner geworden wäre.«
Jack war fast fertig mit der Untersuchung der inneren Organe, als Calvin den Raum betrat. Seine riesige Silhouette war einfach unverkennbar. Er kam in Begleitung eines anderen Mannes, der nur halb so groß war wie er. Calvin steuerte direkt auf Jacks Tisch zu.
»Gibt es irgend etwas Außergewöhnliches?« fragte er, während er einen Blick in die Schale mit den inneren Organen warf. »Was die inneren Organe angeht, sieht es hier genauso aus wie gestern bei Nodelman«, erwiderte Jack.
»Gut«, bemerkte Calvin und richtete sich auf. Dann stellte er Jack den Gast vor. Es war Clint Abelard, der leitende Epidemiologe der Stadt New York.
Jack erkannte das hervorstehende Kinn des Mannes wieder, doch das Plastikvisier seiner Schutzmaske reflektierte so stark, daß er die Eichhörnchenaugen nicht sah.
»Wie Dr. Bingham mir mitgeteilt hat, kennen Sie sich bereits«, hob Calvin an.
»In der Tat«, sagte Jack. Der Epidemiologe zeigte keine Reaktion. »Dr. Abelard versucht, dem Ursprung dieses Pestausbruchs auf die Spur zu kommen«, erklärte Calvin. »Das finde ich sehr löblich«, bemerkte Jack. »Er ist zu uns gekommen, um zu sehen, ob er uns mit wichtigen Informationen unter die Arme greifen kann«, sagte Calvin.
»Vielleicht geben Sie ihm einen kurzen Überblick über Ihre Befunde.«
»Mit Vergnügen.« Jack begann mit den Ergebnissen der äußeren Untersuchung und wies auf die Hautveränderungen hin, die seiner Meinung nach möglicherweise auf Insektenstiche hindeuteten. Dann referierte er in groben Zügen über die Befunde der inneren Untersuchung, wobei er sich auf die Lungen, die Lymphgefäße, die Leber und die Milz konzentrierte. Während seines gesamten Vortrags sagte Clint Abelard kein einziges Wort.
»Wie Sie sehen, sind die Symptome bei diesem Fall genauso stark ausgeprägt wie bei Nodelman. Kein Wunder,
Weitere Kostenlose Bücher