Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
Jack.
»Und mir macht es Spaß, Sie ein bißchen zu bemuttern«, entgegnete Terese. »Schlafen Sie gut.«
Dann trennten sie sich. Doch bevor Jack die Tür zum Gästezimmer erreicht hatte, rief Terese ihm hinterher: »Eine Frage muß ich noch loswerden: Warum leben Sie in diesem entsetzlichen Slumviertel?«
»Wahrscheinlich habe ich zumindest unterbewußt das Gefühl, daß ich es nicht verdiene, richtig glücklich zu sein«, antwortete Jack.
Terese dachte kurz nach und lächelte dann. »Das verstehe ich nun wirklich nicht - aber ich muß ja auch nicht alles verstehen. Gute Nacht.«
21. Kapitel
Sonnabend, 23. März 1996, 8.30 Uhr
Terese war tatsächlich im Laufe der Nacht mehrmals in Jacks Zimmer gekommen und hatte ihn geweckt. Sie hatten sich dann jedesmal ein paar Minuten unterhalten. Als Jack am Morgen aufwachte, war er unsicher, was er von der Situation halten sollte. Einerseits war er Terese dankbar für alles, andererseits war es ihm peinlich, so viel von sich preisgegeben zu haben. Beim Frühstück zeigte sich, daß Terese sich genauso unwohl fühlte wie er. So waren sie um halb neun beide erleichtert, als ihre Wege sich vor der Haustür trennten. Terese fuhr in die Agentur, wo sie - wie sie fürchtete - eine Marathonsitzung vor sich hatte, und Jack machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung.
Er verbrachte mehrere Stunden damit, das Chaos, das die Black Kings hinterlassen hatten, zu beseitigen. Mit den einfachen Werkzeugen, die ihm zur Verfügung standen, gelang es ihm sogar, seine Tür notdürftig zu reparieren.
Anschließend fuhr er zum Gerichtsmedizinischen Institut. Er hatte an diesem Wochenende zwar keinen Dienst, aber er war mit seinen Autopsieberichten weit im Rückstand und wollte in Ruhe seine Akten aufarbeiten. Außerdem wollte er wissen, ob während der vergangenen Nacht weitere Infektionsfälle vom Manhattan General hereingekommen waren. Da er wußte, daß dort am Tag zuvor drei Patienten mit akutem Rocky-Mountain-Fleckfieber behandelt worden waren, befürchtete er das Schlimmste.
Sein Fahrrad fehlte ihm, und er überlegte kurz, ob er sich nicht sofort ein neues kaufen sollte. Zur Arbeit fuhr er mit der U-Bahn, doch das war alles anderes als bequem; er mußte zweimal umsteigen. Die Nord-Süd-Verbindungen im New Yorker U-Bahn-Netz waren hervorragend, wenn man aber vom Westen in den Osten wollte, mußte man sich auf einiges gefaßt machen. Am Ende mußte er immer noch sechs Blocks zu Fuß gehen. Da zu allem Überfluß auch noch ein leichter Nieselregen fiel und er keinen Schirm hatte, war er naß bis auf die Haut, als er das Institut gegen Mittag erreichte.
An Wochenenden herrschte in der Leichenhalle längst nicht so viel Betrieb wie an Werktagen. Jack benutzte den Haupteingang und ließ sich von der Frau am Empfang die Tür zum Identifikationsbereich öffnen. In einem der Räume hatte sich eine Familie versammelt, die vor Kummer außer sich zu sein schien. Jack hörte lautes Schluchzen, als er an der Gruppe vorbeiging. Als erstes warf er einen Blick auf den Wochenend-Dienstplan und nahm erfreut zur Kenntnis, daß Laurie Bereitschaftsdienst hatte. Dann sah er sich die Originalliste der Fälle an, die in der vergangenen Nacht ins Institut überführt worden waren. Eilig überflog er die Namen, und dann verschwammen die Buchstaben vor seinen Augen. Nancy Wiggens war um vier Uhr morgens eingeliefert worden! Die vorläufige Diagnose lautete Rocky-Mountain-Fleckfieber.
Zwei weitere Fälle mit dieser Diagnose standen auf der Liste: die dreiunddreißigjährige Valerie Schafer und die siebenundvierzigjährige Carmen Chavez. Jack nahm an, daß es sich um die beiden anderen Patientinnen handelte, die am Tag zuvor in der Notaufnahme des Manhattan General gelandet waren. Er ging nach unten und warf einen Blick in den Sektionssaal. An zwei Tischen wurde gearbeitet. Er konnte es nicht genau erkennen, doch aus der Körpergröße schloß er, daß Laurie an einem der Tische stand. Nachdem er sich den Schutzanzug übergezogen hatte, betrat er den Obduktionsbereich. »Was hast du denn hier zu suchen?« fragte Laurie, als sie Jack erblickte. »Du hast Wochenende und solltest dich vergnügen.«
»Ich kann eben nicht ohne meine Arbeit leben«, witzelte er und beugte sich vor, um einen Blick auf das Gesicht des Leichnams zu werfen. Er schnappte nach Luft, als ihm die leblosen Augen von Nancy Wiggens entgegenstarrten. Tot wirkte sie noch jünger als lebendig. »Hast du diese Frau gekannt?« fragte
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