Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
Vom Netzwerk:
Gefühl, das nichts mit meinem leeren Magen zu tun hatte.
    Ein paar Stunden später wünschte ich mich in die Küche zurück. Der weißgelbe Ball der Sonne stand am Himmel und ihre heißen Strahlen knallten uns gnadenlos auf die Köpfe, während wir gebückt über ein endloses Feld schlurften und Kartoffeln aufsammelten. Ich hatte mir wenigstens noch schnell einen alten Hut geschnappt, der verloren an einem der Haken im Gemeinschaftsraum hing. Trotzdem lief mir der Schweiß in heißen, klebrigen Rinnsalen übers Gesicht und tränkte mein T-Shirt. Den anderen ging es nicht besser. Kali japste ab und zu hörbar und Lukas war fast so bleich wie die weißblonden Rastalocken auf seinem Kopf. Nur Urs ließ sich nichts anmerken, sondern hob stoisch eine Kartoffel nach der anderen auf. Die von krümeliger Erde verkrustete Beute warf er mit gekonntem Schwung in seine Kiepe. Jeder von uns trug so eine auf dem Rücken. Für Außenstehende mussten wir aussehen wie aus dem vergangenen Jahrhundert, während wir mit unseren aufgebuckelten Körben Feldfrüchte mit den Händen aufklaubten.
    Nach drei Stunden Bullenhitze und Dauerbücken hatte ich das Gefühl, am Spieß geröstet worden zu sein und nur noch auf allen Vieren kriechen zu können. Am liebsten hätte ich eine Meuterei angezettelt, die in einer Eisdiele endete. Dann aber dachte ich an die Bilder vorgestern auf der Leinwand und hielt den Mund.
    Nach einer weiteren halben Stunde hielt ich es dann wirklich nicht mehr aus. »Pause«, ächzte ich und ließ mich einfach in die nächste Ackerfurche sinken. Mit einem erleichterten Seufzer schob ich die Gurte der Kiepe über meine Schultern und setzte das schwere Ding ab.
    Kali wollte es mir nachmachen, als Urs scharf rief: »Halt«. Kali erstarrte mitten in der Bewegung. »Wir machen Pause, wenn
ich
es sage«, entschied Urs. Mit einem bösen Blick auf mich fügte er hinzu: »Jetzt jedenfalls noch nicht.«
    Ich merkte genau, dass er das absichtlich machte. Wahrscheinlich hatte Zeno ihm die Oberaufsicht übertragen und jetzt wollte Urs mal richtig den Chef raushängen lassen. Ohne mich. »Du kannst ja später Pause machen«, konterte ich daher ruhig. »Ich brauche jetzt jedenfalls was zu Trinken.« Mit diesen Worten angelte ich nach dem großen Korb, in dem sich Wasser und etwas Trockenobst befand. Mit zwei Schritten war Urs bei mir und entriss mir die Flasche. Er hatte Kraft und mir wurde kurz mulmig. Trotzdem wollte ich mir von ihm nichts bieten lassen, seine Übergriffigkeit ließ mich schlagartig sauer werden. Mit einem Satz war ich auf den Füßen. »Sag mal, spinnst du? Gib mir sofort das Wasser! Ich lass mir doch von dir nicht befehlen, wann ich Durst haben darf und wann nicht«, rief ich hitzig.
    »Du richtest dich gefälligst nach den anderen in der Gemeinschaft«, sagte Urs dumpf.
    »Die haben aber garantiert auch Durst. Stimmt’s?«, fragte ich und blickte in die Runde.
    Lukas starrte krampfhaft auf seine schmutzigen Finger und auch Kali wandte den Blick ab.
    »Siehst du«, triumphierte Urs. Ob es an seinem dümmlichen Siegergrinsen lag, an der Hitze oder am Fasten – mir platzte jedenfalls der Kragen.
    »Jetzt pass mal auf. Nur weil du das erste Mal im Leben irgendwo das Sagen hast, heißt das noch lange nicht, dass du uns schikanieren kannst«, zischte ich. »Oder findest du’s geil, wenn es anderen schlecht geht?«, setzte ich noch eins drauf. Urs klappte der Mund auf und er starrte mich wortlos an. Da hatte ich wohl ins Schwarze getroffen, dachte ich befriedigt.
    »Das wird dir noch leidtun«, presste er heraus. »Ich werde Zeno sagen, dass …« Ehe er aber den Satz beenden konnte, hörte man einen dumpfen Plumps. Kali schrie auf.
    »Lukas ist umgekippt!«
    Tatsächlich lag er reglos auf der braunen, krümeligen Erde des Kartoffelackers: eine hellblonde Marionette, deren Fäden man durchgeschnitten hatte. Urs stand mit hängenden Armen und verständnisloser Miene da. Ich riss ihm grob die Wasserflasche aus der Hand und kniete mich neben Lukas. Seine Lippen waren blutleer und um die Augen lagen bläuliche Schatten. Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte man denken können, er hätte zu tief in den Schminktopf gegriffen.
    »Los hilf mir und nimm seine Beine hoch«, wies ich Kali an, die gehorchte. Ich spritzte Lukas Wasser aus der Flasche ins Gesicht und tätschelte seine Wangen. »Hey, aufwachen, komm schon«, feuerte ich ihn an und tatsächlich schlug er nach einiger Zeit die Augen auf. Mit unserer

Weitere Kostenlose Bücher