Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
gelassen?«
Ich bekam Ohren wie ein Elefant. Mit zitternden Händen befingerte ich reife Datteln. Ein Händler bot mir einen Sitz im Inneren seiner Bude an, aber ich schenkte ihm keine Beachtung.
»Sie ist ein bißchen seekrank«, sagte Anna. »Sie ist an Bord geblieben.«
»Ja, ich hab davon gehört«, sagte dieser Günther. »Fred hat sich schon Sorgen um sie gemacht.«
Ich kicherte in meinen Tschador hinein. Fred? Um mich? Sorgen? Zu freundlich. Aber: zu SPÄT.
»Was HAB ich da nur letztens angerichtet?« sagte Günther dicht an meinem Ohr. »Ich hätte ihr von diesem Filmchen nicht erzählen sollen, was?«
»Keine Ahnung«, sagte Anna. »Ich weiß ja nicht, was darauf zu sehen war!«
»Ach, das war doch nur ein frecher Scherz vom Fred, Sie kennen ihn doch, er ist halt manchmal etwas übermütig, und wenn er dann jemanden in einer peinlichen Situation sieht, dann kann er gar nicht anders ...«
Leider strömten in diesem Moment mehrere Kameltreiber mit ihren Tieren des Weges. Ich wurde zur Seite gedrängt, konnte nichts mehr hören. Aber ich war sicher, Günther schilderte Anna jetzt den ganzen peinlichen Inhalt dieses Videos. Verdammt, wie viele Tiere und Kameltreiber kamen da denn noch? Ich mußte fluchtartig in eine andere Gasse rennen, um nicht von den Hufen dieser Trampeltiere zertreten zu werden.
Als die Kamelherde endlich weg war, war auch Anna weg. Ich suchte sie überall. Sie war einfach von der Menge verschluckt. Wahrscheinlich suchte sie ihrerseits MICH! Ein wahrhaft hoffnungsloses Unterfangen. Ich geisterte durch den Souk. Anna hatte bestimmt schon aufgegeben.
Aber da sah ich Günther!! Natürlich konnte ich ihn in diesem Aufzug nicht fragen: Haben Sie Anna gesehen?
Aber ich konnte etwas anderes tun in diesem Aufzug.
Ich beschloß, mich an seine Fersen zu heften.
Günther durchstreifte noch lange die verschiedenen Souks von Abu Dhabi. Mehrmals fotografierte er verschleierte Frauen, was ihm den Unmut der dazugehörigen Männer einbrachte. Günther, dachte ich, du schaufelst dir gerade dein Grab. Er wanderte durch den Fischereihafen, betrachtete die Fischerboote und -netze, fotografierte wahllos alles, was ihm vor die Kamera kam, und bog dann in ziemlich finstere Gassen ab.
Ich folgte ihm wie ein Schatten.
Die ganze Zeit dachte ich daran, daß er das miese Schwein war, das meinem armen unschuldigen Rüdiger am Heiligen Abend diesen heuchlerischen, selbstherrlichen anonymen Brief geschrieben hatte.
Mein Haß auf ihn wuchs mit jedem Schritt, den ich hinter ihm herging.
Er überquerte ungeschickt schlecht geteerte Straßen, auf denen die Autos wie die Berserker rasten. Mehrmals lief er Gefahr, überfahren zu werden. Ich dachte kurz an den Spanner-Opa mit dem Stock in Melbourne. Doch war dieser Günther viel zu gut zu Fuß für einen erneuten Versuch. Aber meine Verschleierung sollte mir für irgend etwas nützlich sein. Für einen dickbäuchigen Touristen mit weißen Socken und braunen Sandalen wollten die Scheichs und Großwesire mitnichten bremsen. Für mich – eine verschleierte Frau – hielten sie freundlich an und winkten mich über die Straße. Ich fand immer mehr Gefallen an meinem verschleierten Zustand.
Günther war ganz offensichtlich auf der Suche nach dem etwas zwielichtigeren Viertel. Der Tag ging zur Neige. Um zwanzig Uhr sollte das Schiff ablegen. Günther schien jedoch noch etwas vorzuhaben. Er war nun – auf vierspuriger, vielbefahrener Straße – im Amüsierviertel angekommen. Ich folgte ihm ganz ohne Furcht. Zwar waren fast keine Frauen zu sehen, aber die, die es gab, waren verschleiert. Wie ich. Wir wurden nicht wahrgenommen.
Günther sprach einen Mann an, fragte ihn etwas in schlechtem Englisch, mit Hamburger Akzent. Der junge Kerl nickte, grinste, streckte seine Hand aus, kassierte ein paar Dollar und zeigte Günther bereitwillig den Weg. Der junge Araber führte Günther durch staubige, unbefestigte Gassen. In den winzigen, dunklen Häusern waren kaum schuhkartongroße Fenster. Verschleierte Gestalten huschten geräuschlos um die schäbigen Baracken. Magere Hunde und Katzen streunten herrenlos herum. An einigen Fenstern hing Wäsche in Fetzen. Die laue Luft war zum Schneiden still. Zahnlose alte Männer mit Turbanen auf dem Kopf und weißen Kaftanen saßen auf der Erde. Alle starrten Günther nach. Niemand beachtete mich. Ausgeschlachtete Autos standen am Straßenrand. Fürwahr, eine finstere Gegend. Der beißende Geruch von Urin schlug mir entgegen. Irgendwo
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