Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
anderen Bahnhof vorbei.
Dann hielten wir am Straßenrand. Hartwin Danz half mir sehr ritterlich beim Aussteigen und führte mich dann an der Hand über die heftig befahrene Straße. Sie war weder vierspurig noch sechsspurig. In Bombay gibt’s keine Spuren auf der Straße. Nur Chaos. Und zwar im Linksverkehr. Hartwins Händedruck war fest und bestimmt. Ich glaube, es war der Moment, als er mich so sicher und weltgewandt über diese Straße führte, daß ich mein Herz an ihn verlor.
Wir standen an einer schmuddeligen Mauer und starrten hinunter auf das Treiben dort unten in der »Laundry«: Hunderte von Arbeitern wuschen da riesige Wäschestücke mit der Hand in steinernen Bottichen im Freien, schlugen sie aus, hängten sie zum Trocknen über jämmerliche Bretterverschläge, färbten, wrangen, schleppten riesige Körbe voller Wäsche auf ihrem Rücken davon, den Riemen über der Stirn.
»Schaun S’ amal, wie Sie bewundert werd’n!«
Ich wachte aus meiner Trance auf und gewahrte, daß ich von einer Traube staunender Kinder umgeben war.
»Klar, Sie san a große, blonde Frau, so was kennen die nicht ...«
Ich ging in die Hocke, wühlte in meinem Rucksack nach Dollarscheinen und verteilte sie in die mageren schmutzigen Händchen. Die Kinder starrten mich verständnislos an, sie lächelten nicht, sie staunten. Und mit den Geldscheinen konnten sie offensichtlich nichts anfangen.
Als ich mich wieder aufrichtete, waren wir von weiteren vierzig Indern umgeben – glutäugig, fremd, ohne zu lächeln starrten sie mich an.
»Gemma, gemma!« Hartwin nahm mich wieder an die Hand, bahnte uns einen Weg durch das Gewühl und führte mich sicher über die Straße zu unserem Wagen zurück.
Die Meute folgte uns. Wollten sie den Inhalt meines Rucksackes? Oder gar mir an den Kragen? Ich hatte überhaupt keine Angst. Ich war doch bei Hartwin! Dieser Mann strahlte eine Autorität aus! Alle wichen ehrfurchtsvoll zurück, wenn sie in sein entschlossenes Gesicht blickten.
Dann fuhren wir zu einem öffentlichen Rasenstück, das der Fahrer stolz »Pherozheshah Mehta Gardens« nannte. Bei uns in Deutschland hätte dieser kleine mickrige Grüngürtel keinen Touristenwert gehabt, aber hier in Bombay war das Pärkchen ein echtes Highlight. Buschwerk, das grau vor sich hin grämelte, war irgendwann zu Tierköpfen beschnitten worden. Mit viel gutem Willen konnte man erkennen, daß diese »Gardens« von Menschenhand geformt waren. Zutritt hatten anscheinend nur die reichen Inder, denn uniformierte Wächter sorgten dafür, daß das Lumpengesindel, das bettelnd hier herumlungerte, nicht hineinkam. Von einer Plattform aus konnten wir hinuntersehen auf den Hafen, die Uferpromenade und das Gewimmel dort unten.
»Kommen S’.« Wieder nahm Hartwin mich bei der Hand.
Wir lustwandelten zwischen den kinderreichen Inderfamilien herum, die in feinen Saris, mit allerhand Schmuck behangen, hier spazierengingen.
Kleine Kioske verkauften köstlich duftende Imbisse und rosafarbenes »kulfi«, eine Art Speiseeis.
Auf dem bißchen Wiese, das mühsam begossen wurde, um sich so nennen zu dürfen, lagerten Großfamilien und hielten Picknick. Ich bewunderte die hübschen Kinder mit den Schokoladentaleraugen. Man bot uns sofort an, uns dazuzusetzen. Nun hockten wir bei einer indischen Sippe und knabberten am Picknickgebäck herum.
Wir schauten uns an, Hartwin und ich.
Hättwich zog mich am Rockzipfel: Du wirst dich doch nicht schon wieder verlieben, Kindchen?! Nicht doch!!
Er plauderte heiter und entspannt mit den englisch sprechenden Mitgliedern der Familie, ich durfte die zauberhaften Babys halten und wurde fotografiert, und dann wollte man Hartwin und mich zusammen fotografieren. Sie legten uns ihre goldigen Kinderlein in die Arme.
»Very nice husband!« – »Very pretty wife!« sagten die Inder und wackelten anerkennend mit den Köpfen.
Sie hielten uns für ein Ehepaar!
Ich fühlte mich so glücklich, wie ich mich immer gern mit Fred gefühlt hätte. WAS ein Mann! Hartwin war so ... weltgewandt, so ... charmant, so ... männlich. Seine natürliche Autorität faszinierte mich. Wenn sein Blick weich wurde ... ach, jee, Hättwich, mir fehlen die Worte!
Kind, sagte Hättwich, der Mann ist verheiratet!
Na und, rief ich lachend, wo leben wir denn! Er ist ein Streifenhorn! Er ist zehn Monate pro Jahr auf See! Da wird er nicht leben wie ein Mönch!
Wir schlenderten weiter. Hand in Hand.
Eine Gruppe von Sikhs mit farbigen Turbanen kam uns entgegen.
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