Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
der Hafenausfahrt. Die Arbeiter versuchten, durch wildes Gestikulieren ihm einen Weg zu bahnen.
Draußen tobte stoisch der Verkehr. Vierköpfige Familien auf Mopeds umrundeten den riesigen Laster. Die armen kleinen Kinder! Sie alle hatten einen Mundschutz im Gesicht. Ich mochte gar nicht hinschauen. Aber das mußte ich ja auch nicht mehr.
Der Flughafen von Saigon war nicht gerade das, was man gemütlich nennt. Müde und zerschlagen kämpften Hartwin und ich uns mit meinem schweren Koffer um die abgeschlafften Gestalten herum, die hier übernachteten.
»Gemma in die VIP-Lounge.« Hartwin bugsierte mich durch schmuddelige, dunkle Gänge. »Die Maschine aus Frankfurt hat Verspätung.«
»Hauptsache, ich schaffe morgen vormittag um elf mein Konzert in Düsseldorf.« Morgen war Ostern, und morgen hatte ich das Osteroratorium von Bach in der Lambertuskirche. Und jetzt, nachts um zwei, stand ich in Saigon am Flughafen. Im schwarzen Samtanzug. Falls ich keine Zeit zum Umziehen mehr haben würde.
»Burkharda – ich bewundere dich. Du bist eine starke Frau!«
»Hartwin! Liebster! Fahr nach Hause! Du bist müde! Schlaf dich aus!«
»Burrgl! Schatz! So was will ich nie, nie wieder hören!«
»Aber du hast, seit wir uns kennen, keine Nacht länger als zwei Stunden geschlafen! Ich schaff das schon hier!«
»Ich lasse dich nicht allein. Nie mehr. Daß du das weißt.«
Und dann saßen wir da. Auf einem zerschlissenen Plastiksofa. Mit je einer Dose Bier in der Hand. Meine Bach-Noten im Handgepäck. Sogar eingesungen war ich schon. Und die hochhackigen Lackpumps hatte ich an.
In der anderen Ecke des Raumes lehnten noch ein paar schläfrige Gestalten. Es war ein scheußlicher Raum. Aber ich war bei dem Mann, den ich liebte. Und ich hätte hier bis an mein Lebensende mit ihm sitzen mögen.
»Burrgl«, sagte Hartwin. »Das kann es doch nicht gewesen sein.«
»Nein«, sagte ich. »Kann es nicht.« Morgen singe ich Bach, dachte ich. In sechzehn Stunden stehe ich auf der Orgelempore und singe »Saget, saget mir geschwinde, wo ich meinen Jesum finde, welchen meine Seele liebt“.
Ich konnte es nicht mehr abspeichern auf der Festplatte des Gehirns. Die Diskette war voll. WAS für unterschiedliche, gegensätzliche Welten! – Hartwin! Hartwin Danz war in mein Leben getreten!
Nicht einen Moment lang hatte ich das Gefühl gehabt, daß Hartwin mit mir spielte. Das hier war ihm ganz ernst. Genauso ernst wie mir.
»Aber du bist verheiratet, Hartwin.«
Hartwin nahm mein Gesicht in seine Hände. Seine Augen waren klein und müde.
»Ich gehöre nicht zu den Männern, die behaupten, daß sie unglücklich verheiratet sind, nur um eine Frau rumzukriegen.« Seine Stimme war eindringlich. »Das ist für mich unterste Schublade. Das mache ich nicht.«
Ich sah ihn prüfend an.
Fürwahr, kein romantischer Ort für eine Liebeserklärung. Aber genau dieser Schauplatz sollte es sein.
Hättwich hockte hinter dem armseligen Kühlschrank mit den Bierdosen und lächelte uns aufmunternd an.
»Erzähl mir über deine Frau, Hartwin.«
»Wir sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Aber wir haben keine Ehe mehr. Schon lange nicht mehr ...« Er schwieg. Ich wartete ab. Das hier war ganz anders als die üblichen »Keiner-liebt-mich«-Arien, die man so von frustrierten Männern um die Midlife-crisis hört.
»Wenn ich nach vier, fünf Monaten Seefahrt nach Hause komme, ist in ihrem Haus kein Platz für mich.«
Das klang nicht selbstmitleidig. Nur sachlich.
»Schlaft ihr nicht mehr zusammen?«
»Ich schlafe seit Jahren im Kinderzimmer.«
»WAS?! Du phantastischer, göttlicher Mann, du bester, zärtlichster, leidenschaftlichster Liebhaber aller Zeiten, schläfst im KINDERZIMMER?!« schrie ich empört. »Ja hat die Frau denn überhaupt keinen Geschmack?!«
Die schlafenden Vietnamesen zuckten zusammen.
Psst! Kindchen!! Nicht so laut! raunte Hättwich.
»Sie ist keine sehr ... leidenschaftliche Frau«, sagte Hartwin. »Ihre Welt ist rund und heil. Ich störe da nur.«
Ich stellte erfreut fest, daß er kein schlechtes Wort über seine Frau verlor. »Hat sie einen anderen?«
»Nein. Sicher nicht. Sie ist so ... konservativ ...«
»Ihr habt ÜBERHAUPT KEIN SEXUALLEBEN?!«
»Nein. Seit acht Jahren nicht mehr.«
»Was heißt das, sie ist konservativ?«
»Sie ging, als sie das Baby stillte, immer in einen anderen Raum. Ich durfte das nie sehen.«
»NEIN!!«
»Doch. So ist sie. Und seit sie das zweite Kind hat, will sie nichts mehr von mir. Sie
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