Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
rief der Zahlmeister hinter mir her.
Ich tat so, als sei ich taub.
Das konnte ja wohl nicht wahr sein!! Die Faxe? Das Telefonat?! Arsch voll, Zahlmeister!
Wie von Furien gehetzt, raste ich »auf Kabine«, riß mir die verschwitzten Klamotten vom Leibe, sprang unter die eiskalte Dusche, zerrte mein eierschalenfarbenes Escada-Kostüm hervor, das ich mal für hundertzwanzig Mark »secondhand« erstanden hatte, und fuhr mir mit dem Feudel durch die Haare. Parfum, Rouge, Lippenstift, fertig. Ich hetzte wieder zur Rezeption zurück.
»Boh, das ging aber obersuperschnell!« Lars-Dars war sichtlich beeindruckt.
»Wahrscheinlich hat sie ihre Spielhöschen noch drunter«, mutmaßte Klara-Viktoria säuerlich.
»Sie haben etwa siebzig Seiten Fax«, sagte der Zahlmeister ungerührt. »2 684 DM bekomme ich von Ihnen!«
»Später!«
Wir rannten die Treppe hinauf zum Deck neun, wo im »Erzherzog-Ferdinand-Palais« der Kapitän bereits an der Tür auf uns wartete.
»Es ist vier Minuten nach sechs«, begrüßte er uns.
»An MIR lag’s nicht.«
Huldvoll ließ ich mir von ihm die Hand küssen und warf einen abfälligen Blick auf die dicke Klara-Viktoria, die nur mühsam die Treppe hochkeuchte.
»Sie lassen Ihren Kapitän warten!« rügte Hans-Dieter Schulz die schnaufende Diseuse. Hähähä, rieb sich mein Flaschengeist die Hände. Ich war schon ins Innere geschwebt, wo einige blankgeputzte Stewards uns mit Champagner erwarteten.
Zu meiner Zufriedenheit konnte ich wahrnehmen, daß der Käpt’n Klara-Viktoria mitnichten die Hand küßte.
Alle anderen Künstler standen schon peinlich berührt im Halbkreis, ihr gefülltes Glas in der Hand, von dem sie sich nicht zu trinken getrauten. Der Zauberer im schwarzen Smoking, seine unzufriedene Gattin Natascha im lila rückenfreien Abendfummel, der schwule Tenor Anthony im weißen Smoking, die Tänzer und Tänzerinnen, die anderen Sänger, der liebenswürdige Einhandsegler, mein Dichter natürlich und die Mitglieder der Bänd. Auf gläsernen Tischchen standen Glasschälchen mit Nüßchen und glasierten Früchten. Der dicke Lektor knabberte mit unverhohlenem Appetit davon. Statuen und Putten hielten Blumengebinde und goldene Schalen mit goldenen Weintrauben in ihren bronzenen Armen. Der Hoteldirektor war auch zugegen, mit seiner Gattin Mareike. Sie hatte ein pinkfarbenes Etwas an, bestimmt von Escada. Es machte einen sehr teuren Eindruck. Außerdem waren noch die beiden Bordgeistlichen da, der evangelische Pastor Nölenberg und der katholische Pfarrer Klein, und der Arzt Dr. Mundgeruch, Verzeihung, Hundtgeburth.
Leute, dachte ich, macht hin, ich will noch ins Fitneßcenter. Und dann setzte mein Herz aus.
Am anderen Ende des Saales stand Fred Hahn.
Er sah phantastisch aus. Tadellos sitzender weißer Anzug, goldene Troddeln und vier goldene Streifen auf der Schulter. Ich hoffte, er würde mir einen Blick schenken. Vielleicht ein verschmitztes Lächeln? Ein verschwörerisches Mundwinkelspiel? Doch für Fred Hahn war ich Luft. Er redete mit den zwei Teichhühnern, die er heute im Swimmingpool für mein peinliches Verhalten angeschleimt hatte. Es war so ungerecht!! ICH, ich wollte bei Fred stehen! Die Teichhühner, die inzwischen bei dem blond-gelockten Friseur gewesen waren, den ich unlängst in den Morgenstunden beim Vögeln gestört hatte, warfen mir verächtliche Blicke zu. Ich hätte ihnen gern mein Champagnerglas über die aufgetufften Locken gekippt. Aber eine Dame tut so was nicht. Wir standen alle betreten da.
Endlich kam der breitbäuchige Käpt’n zu uns geschwankt. Er hob sein Champagnerglas und sprach: »So, da nun alle da sind, kann ich uns nur eine gute Reise wünschen und bla bla bla ...«
Ich hörte ihm nicht mehr zu. Fred. Fred Hahn. Ich würde ihn zwingen, mich zu beachten. Siebzig Seiten Fax waren angekommen! Das bedeutete, Freds Abend war gerettet. Und das hatte er Rüdiger zu verdanken! MEINEM Mann! Der gute Rüdiger! Vielleicht waren es dreißig Chorstücke. Da mußte man doch etwas draus machen können! Ich würde sie alle einzeln fotokopieren, die Stimmen bearbeiten, Proben einberufen, Einzelproben machen, o ja, ich würde diesem Kreuzfahrtdirektor zeigen, was ich so draufhatte, ich würde ihn in die Knie zwingen! Er würde mir bewundernd die Hand küssen, das schwor ich! Andere waren schon mit Recht begeistert von mir, warum sollte mir das ausgerechnet bei dem Kreuzfahrtdirektor nicht gelingen?
Wir tranken. Der Champagner war sehr kalt und sehr
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