Mord auf Bali: Ein Urlaubs-Krimi (German Edition)
konnte. Am Straßenrand standen zwei Jungs, höchstens sechzehn Jahre alt. Der eine lehnte an einer Straßenlaterne. Sie unterhielten sich, lachten und rauchten. Als Rauscher an ihnen vorbeilief, roch er Marihuana oder ein anderes Gras. Damit hätte er nicht gerechnet.
Als er wenig später ein kleines Restaurant fand, in dem ein paar Menschen saßen, setzte er sich und bestellte Saté, Hühnchen-Spieße mit Erdnuss-Sauce, und eine Cola. Besonders die Erdnuss-Sauce hatte es ihm angetan. In Deutschland gab es inzwischen an jeder Straßenecke einen Asiaten, aber man musste verdammtes Glück haben, um einen wirklich guten zu erwischen.
Diedeldiedeldididid. Lenas SMS? Sie war es: „Bin im Totalstress. Klinik, Kochen, Putzen, Einkaufen, Tennisstunde von Julian, Body-Pump. Ich krieg das alles nicht mehr auf die Reihe. Alles Liebe.“
Zum Glück bin ich auf Bali, dachte Rauscher, sonst hätte sie mich auch noch am Hals. Er war sauer. Lena zeigte gar kein Verständnis für seine Situation. Kein Wort darüber. Immerhin war er der Hauptverdächtige in einem Mordfall. Da konnte man doch wohl erwarten, dass sie … Kopfschütteln. Nein, konnte man eben nicht.
Nach dem Essen wollte er noch etwas spazieren gehen und die Ruhe auskosten. Hier in den Tropen wird es abends von einem auf den anderen Moment dunkel. Ohne Sonne war die Luft jetzt erträglicher, obwohl die Luftfeuchtigkeit immer noch extrem hoch war. Wo blieb nur der Regen?
Rauscher ging landeinwärts auf einem kleinen Weg. Plötzlich vernahm er merkwürdige Töne und Rhythmen. Er folgte den unbekannten Klängen und gelangte in ein dunkles Gehöft. Auf einer kleinen Bühne stand eine große Leinwand, die von hinten angestrahlt wurde. Davor saßen in mehreren Reihen Einheimische. Ein kleines Orchester befand sich rechts neben der Bühne. Eine Stimme hinter der Leinwand sprach und sang in verschiedenen Tonhöhen. Auf der Leinwand erschienen grazile Schatten.
Rauscher durchschritt den Hof und blickte gebannt in die Runde. Die meisten Zuschauer starrten andächtig nach vorne und lauschten den beschwörenden Formeln. Rauscher gesellte sich dazu. Schade, dachte er, dass ich gar nichts verstehen kann.
Auf Bali glaubt man, dass die Schatten auf der Leinwand Erscheinungen der übersinnlichen Welt sind. Sie stellen hinduistische Götter oder Figuren aus den alten Heldenepen „Mahabharata“ und „Ramajana“ dar. In der westlichen Zivilisation würden wir dazu Puppenspiel oder Theater sagen. Nicht so die Balinesen. Für sie ist das Schattenspiel – „wayang kulit“ – eine Erscheinung der realen Welt. Es hat eine überragende Bedeutung und ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Kultur. Es gibt eine sichtbare Welt und eine unsichtbare. Die unsichtbare Welt wird sichtbar gemacht in den Schatten. Sie stellen den Geist eines Menschen oder die Seele dar. Das wahre Leben von Göttern, Geistern und Dämonen erscheint auf der Leinwand. Es sind die Mythen, die so zum Leben erweckt werden. Jeder Balinese kennt sie, achtet sie und lebt ganz selbstverständlich mit ihnen.
Hinter der Leinwand flackerte immer wieder die Kokosölflamme hell auf. Die Töne wurden zunehmend metallischer, intensiver. Alles begann zu vibrieren. Zwei Schatten tanzten über die Leinwand, machten ausgefallene Gesten. Die Wörter des Schattenspielers durchdrangen die Zuschauer. Sie wurden hineingezogen in die Welt der Schatten. Das Spiel steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. So etwas Magisches hatte Rauscher nie zuvor gesehen. Der Rhythmus wurde schneller und versetzte die Menge in Trance. Das Orchester hämmerte zusehends. Weitere Figuren betraten die Leinwand. Sie hatten eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Kämpfe fanden statt, einige Schatten wurden getötet. Die Sinne waren betäubt. Es war ein großes mythisches Fest. Die Balinesen feiern auf diese Weise die ganze Nacht hindurch.
Rauscher war tief beeindruckt. Ihm wurde klar, dass er nichts wusste über die Balinesen, ihre Kultur, ihr Leben, die Bedeutung der Schatten. Aber eines war ihm doch klar geworden: Das Schattenspiel spiegelte die Mentalität und den Glauben der Menschen wider. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Vieles spielt sich im Unsichtbaren ab, ist unerklärlich oder bleibt den Augen verborgen. Diese zweite Welt existiert. Im Kopf. In den Gedanken. Im Leben der Balinesen. Sie dient zur Erklärung ihrer realen Welt. Das balinesische Volk wird überrollt von der westlichen Zivilisation und dem Massentourismus mit all seinen
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