Mord im Bergwald
nicht ernsthaft annehmen, dass Sie sich mit ihm einlassen würden? Der könnte locker Ihr Vater sein!«, rief Irmi.
»Männer glauben so was. Und es gibt genug junge Frauen, die auf Geld stehen oder darauf, dass einer so klug redet. Ich meine, diese Lehrerin hatte doch auch was mit ihm.«
»Lehrerin?«
»Die bei der letzten Schutzwaldtour dabei war. Sie war zwei Wochen vorher auch schon dabei. Ich hab zufällig ihren Pass gesehen, die war auch erst siebenundzwanzig.«
Irmi hätte sie älter geschätzt. Wahrscheinlich, weil Katja einen eher stattlichen Körperbau hatte. Wahrscheinlich schätzte man sie auch älter. Die stattliche Irmgard. Was mit fünfzig natürlich fatal war. Da zählte jedes Jahr, das man jünger geschätzt wurde. Ach was, jedes halbe! Orlowski und Katja? »Und das wissen Sie genau?«
Meike lächelte. »Hm, ich habe sie gehört. Na, Sie wissen schon. Im Zelt. Ich hab ihn auch rauskommen sehen.«
Irmis Gedanken tanzten wilde Sprünge und Drehungen, keinen gepflegten Walzer oder Foxtrott. Orlowski hatte Fichtl nicht gemocht. Aus gekränkter Eitelkeit wurde gemordet, vor allem von Männern. Meike hatte ihn verschmäht und dem Jüngeren den Vorzug gegeben. Orlowski verschmäht, der sonst jede haben konnte. Auf der Alm, da gab's jede Menge Sünd'. Und noch ein Gedanke wirbelte vorbei wie ein Blatt im Herbststurm. »Eine letzte Frage: Wie kommt es eigentlich, dass Sie an dem Tag, als ich auf der Alm war, als ...« Irmi stockte. Das war ja nun wirklich pietätlos. Hätte sie sagen sollen: an dem Tag, an dem wir das Ohr und den Finger von Ihrem Verlobten gefunden haben?
»Ich war in Miesbach«, erwiderte Meike leise. »Da fand ein Treffen für ausländische Almhelfer statt. Wir waren eingeladen, es gab ein zweitägiges Programm mit Referaten und Ausflügen. Wir waren bei Schlyrs, wo sie den bayerischen Whisky brennen, und sind dann aufs Rotwandhaus gewandert. Ich wollte mich ablenken, weil Pius ja weg war. Als ich dann zurückkam, haben sie es mir erzählt.«
Meike nickte Irmi zum Abschied zu, warf den Rucksack über die Schulter und ging. Schnell, mit festem Schritt, ohne sich nochmal umzudrehen.
Nun war es vorbei mit Irmis Beherrschung. Die Tränen liefen ihr herab, und sie schnäuzte sich in die Cafe-Serviette, die um die Gabel gewickelt gewesen war. Und dann tat sie etwas sehr Unvernünftiges: sie bestellte sich noch ein Bier, das sie fast auf Ex leerte. Die Bedienung warf ihr einen so seltsamen Blick zu, dass Irmi gleich zahlte und fast fluchtartig das Café verließ. Wieder brummte eine Hummel heran. Pius hatte sie gemocht. Hummeln und Bisons und die schöne Meike.
10
Als Irmi pünktlich zum Meeting im Büro auflief, wirkte Kathi im Gegensatz zu den anderen Kollegen ungewohnt fröhlich und hatte ganz rote Bäckchen. »Das sind ja alles so Herzchen, deine Bauernfreunde, oder!«, schmetterte sie Irmi entgegen. »Puh!«
Vielleicht hatte Kathi ja doch den richtigen Job ergriffen. Sie war schon eine, die kombinieren konnte und sich, wenn es nötig war, wie ein Bluthund an eine Spur heftete. Wenn sie nur nicht so grundaggressiv gewesen wäre!
»Wo waren S' denn, Frau Irmgard?«, fragte Sailer.
»Auf Pius Fichtls Beerdigung. Was ausgesprochen interessant war. Dazu später. Ich würde jetzt gerne eure Ergebnisse hören.«
Die Überprüfung der Alibis aller Haberfeldtreiber hatte ergeben, dass keiner von ihnen zur fraglichen Zeit in der Nähe der Fischbachalm gewesen war – mit Ausnahme von Bernhard, Ott und Diepold. Kathi hatte in dem Fall ganze Arbeit geleistet. Sie hatte ein riesiges Poster entworfen, auf dem sie festgehalten hatte, wer wen wie lange gesehen hatte. Bernhard und Ott waren nie länger als zehn Minuten außer Sichtweite gewesen, weshalb es mehr als unwahrscheinlich war, dass einer von ihnen Zeit gehabt hätte, Fichtl zu ermorden. Allerdings war dieser Franz Diepold offenbar früher gegangen. Er hatte die Alm mindestens eine Stunde vor den anderen verlassen.
Irmi runzelte die Stirn. »Das ist ja interessant. Wo war er denn?«
»Tja«, meinte Kathi, »das wissen wir noch nicht. Er ist laut seiner Frau in München-Riem bei irgendeinem Kaltblutzuchtgedöns gewesen. Er geht nicht an sein Handy. Wird aber zur Stallzeit zurückerwartet.«
»Gut, den knöpfen wir uns vor! Tolle Arbeit!«, sagte Irmi und meinte das auch so. Außerdem fiel ihr ein Felsbrocken vom Herzen, was ihren Bruder betraf. »Eine Frage noch: Was hat Vinzenz Leismüller denn angegeben, wo er war?«
»Er fährt
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