Mord im Labor
sind Sie schön.«
»Danke, Lieutenant«, sagte sie
in sehnsuchtsvollem Ton und kicherte dann plötzlich. »Da stehe ich nun
splitterfasernackt vor Ihnen und weiß noch nicht mal Ihren Vornamen.«
»Al«, sagte ich.
»Kein Grund, darüber in Ekstase
zu geraten, aber ich glaube, verglichen mit dem >Lieutenant< ist das
immerhin ein Fortschritt.« Sie nahm ihr Glas und trank den Rest ihres dritten
Martinis aus. »Na schön —«, ihre Stimme klang betont beiläufig, »-ich weiß
nicht, wie lange Sie brauchen, um ein Glas leerzutrinken, Al, aber wenn Sie
damit fertig sind — ich warte im Schlafzimmer auf Sie.«
Ein hastiger Schluck, und mein
Glas war ebenfalls leer. Ich sprang auf und holte sie ein, als sie die
Schlafzimmertür erreicht hatte.
»Eines ist sicher, Ellen«,
sagte ich, während wir das Schlafzimmer betraten, »diesmal leiste ich Forschungsarbeit.«
»Natürlich.« In den Augen
hinter der dicken Brille lag ein deutlich wollüstiger Schimmer. »Aber Sie haben
doch nichts dagegen, wenn ich auf eigene Faust ein paar Ermittlungen anstelle?«
»Nicht, solange Sie mich nicht
wegen gewaltsamen Eindringens festnehmen.«
»Sie haben wahrscheinlich
recht.« Sie seufzte leise. »Bullen fällt selbst ein lausiger Sinn für Humor
schwer.«
Kurz nach zwei Uhr morgens verließ
ich ihr Apartment und hatte den Schlüssel zu Everards Wohnung in meiner Tasche. Im Augenblick, als ich Ellen Specks Tür hinter mir
geschlossen hatte, war es, als ob ich aus einem Märchenland in die schmutzige
Wirklichkeit getreten sei. Mein gesamtes polizeiliches Engagement kehrte
zurück, und ein paar Sekunden später schloß ich Everards Wohnungstür auf. Im übrigen würde mir das eine
Extrafahrt später am Tag ersparen.
Das Wohnzimmer sah recht ordentlich
aus, ebenso Küche und Bad. Selbst das Schlafzimmer wirkte aufgeräumt, bis auf
das Bündel Kleidungsstücke auf dem Boden. Ich ließ mich auf Hände und Knie
nieder und sah es mir sorgfältig an. Es handelte sich um die Sportjacke eines
Mannes, eine Hose, Hemd und Unterwäsche, Socken und Schuhe. Dann weiter der
schwarze Pullover einer Frau, ein Paar abgetragene Jeans, ein weißer
Büstenhalter und ein dazu passendes Höschen, ein paar ausgelatschte Sandalen.
In der Innentasche der Sportjacke befand sich eine Brieftasche, die Everards Führerschein, zwei Kreditkarten und rund sechzig
Dollar in bar enthielt. In einer der Hosentaschen steckte ein zerknüllter
Zettel. Ich glättete ihn vorsichtig und sah, daß er mit einer komplizierten
chemischen Formel beschrieben war, jedenfalls schien es meinem ungeschulten
Auge so. Hielt ich vielleicht die gesamte » Everardlösung «
in meinen heißen, kleinen Händen? Aber sehr viel wahrscheinlicher war, daß es
sich um irgendein spielerisches Gekritzel von seiner Hand handelte. Ich
durchsuchte den Kleiderschrank und die Kommodenschubladen, fand aber nichts von
irgendwelchem Interesse.
Eine Frage war ausreichend
interessant, um mich während der Heimfahrt wachzuhalten. Warum hatte der Mörder
die Mühe auf sich genommen, die Kleidungsstücke seiner Opfer in Everards Wohnung abzuladen, und warum hatte er unterlassen,
den Zettel an sich zu nehmen — sofern er von irgendwelchem Wert war? Mein
letzter und anregendster Gedanke, nachdem ich zu Bett
gegangen und im Begriff war, einzuschlafen, war der, daß die Nacht Wheeler ein
erstmaliges Erlebnis beschert hatte. Schließlich kann sich nicht jeder Bursche
rühmen, mit einer Puppe geschlafen zu haben, die die ganze Zeit über die Brille
aufbehielt! Ich bewahrte die Erinnerung an den einen köstlichen Augenblick in
meinem Herzen, als sich die Gläser völlig beschlagen hatten.
5
Munter und frühzeitig — kurz
vor elf Uhr vormittags — betrat ich das Büro, und die honigblonde Wuchtbrumme,
die als des Sheriffs Privatsekretärin agiert, runzelte zur Begrüßung die Stirn.
»Neun Uhr«, sagte Annabelle
Jackson, »und er war im Begriff, den Tag heiter und glücklich zu beginnen. Zehn
Uhr, und er brummte vor sich hin und begann mich wegen läppischen Kleinigkeiten
zu piesacken, die keinerlei Rolle spielen. Halb elf, und er hat sich in einen
wütenden Stier verwandelt. Warum können Sie nie, wenn Sie an einem Mordfall
arbeiten, zu einer vernünftigen Zeit hierherkommen, Al Wheeler?«
»Ich habe um fünf vor neun den
Wagen geparkt«, sagte ich unschuldig. »Direkt draußen vor dem Büro. Und
plötzlich drang da dieser gräßliche Schrei vom
vierten Stock des Gebäudes gegenüber
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