Mord im Nord
bewegen könnte, falls es ihn gäbe, über Bewusstsein und Spirit, über Aufklärung und Denkanstösse. Doch das schenkte ich mir, oder besser ihr, und fasste nur kurz zusammen, wir seien eigentlich über einen wenngleich befruchtenden und beglückenden, so doch letztlich folgenlosen geistigen Austausch nie hinausgekommen. Um den Anschein eines Geheimbundes zu wahren, hätten wir einige harmlose Rituale entwickelt und gepflegt, mehr sei da nicht gewesen. Ausser einer vagen Sehnsucht, das Gefäss unseres, übrigens immer noch namenlosen, «Geheimbunds» würde sich eines Tages doch mal noch mit einer ordentlichen Portion Sinn und Zweck füllen. Ein Geheimbund im Wartestand sozusagen.
Adelina guckte immer noch ziemlich verständnislos, doch ich konnte sie beruhigen, die Geschichte des zweiten «Geheimbundes» komme allmählich auf den Punkt. An dessen letztem Treffen hatte sich eine Diskussion darüber entsponnen, was wir selbst als wirksamen und mächtigen Einfluss auf die Entwicklung unseres eigenen Geistes oder Bewusstseins erlebt hatten. Genannt wurden die üblichen Verdächtigen wie Begegnungen mit eindrucksvollen Menschen oder die Lektüre von Büchern, die unser Bewusstsein verändert hatten. Bis Jonathan das Wort ergriff und unverblümt erklärte, wenn er sich auf eine wirklich zentrale Erinnerung beschränken müsste, dann würde er – übrigens wie Steve Jobs, der nach seinem Ableben vollends zum mythologischen Helden verklärte Gründer von Apple – seinen ersten LSD -Trip wählen. Damals sei er auf einen Schlag die Illusion losgeworden, die Art, wie er üblicherweise sich selbst und die Welt wahrnehme und erlebe, sei die einzig existierende oder gar mögliche. Wie er da so allein am Waldrand gelegen und die Bäume tanzen gesehen habe, habe er die Relativität jeder Wirklichkeit leibhaftig erlebt. Einen Moment lang habe er sogar befürchtet, auf Dauer in dieser gänzlich anderen Realität bleiben zu müssen, was die Kommunikation mit den normalen Mitmenschen etwas schwierig gemacht hätte. Doch dann habe er am selben Abend, noch immer in seiner berauschten Realität, völlig problemlos seine Pflichten als Platzanweiser in einem Kino wahrgenommen und dabei gelernt, dass sich verschiedene Realitäten gut vertragen können.
Das sei ihm eine Lehre fürs Leben gewesen. Er habe fortan nie mehr unter jener geistigen Platzangst gelitten, die viele Leute glauben macht, es gäbe in ihrem Kopf nur Platz für eine einzige, fein säuberlich abgegrenzte Wirklichkeit oder das, was sie dafür halten. Er dagegen habe seit damals gewusst, dass es nicht nur Platz für unterschiedliche Realitäten gibt, sondern dass es Spass macht, zwischen diesen hin und her zu hüpfen und das Beste aus allen miteinander zu verknüpfen.
Die Tatsache, dass es weniger als ein Milligramm eines chemischen Stoffes braucht, um solche Wirkungen zu erzielen, habe ihn besonders fasziniert. Dass winzige biochemische Veränderungen Geist und Seele so beeinflussen können, habe ihn endgültig vom idealistischen Glauben an einen Geist, der völlig unabhängig vom Körper und Gehirn existiert, geheilt. Stattdessen habe er, der durchaus spirituell Interessierte, nicht zuletzt dieses Erlebnisses wegen das Studium der Chemie gewählt und beschäftige sich immer noch primär mit psychoaktiven Stoffen.
Dieses Geständnis regte zu weiteren an. Wie wir schon früher herausgefunden hatten, verfügten alle über einschlägige Erfahrungen, von denen die meisten jahrzehntelang zurücklagen. In den damaligen experimentierfreudigen Zeiten lag es für neugierige und offene Geister nahe, das eigene Bewusstsein auch mit Hilfe von Molekülen zu erforschen.
Ich weiss nicht mehr, wer in die aufkeimende nostalgisch-euphorische Stimmung die Erinnerung an Zeiten einbrachte, in denen bewusstseinsverändernde Stoffe als möglicher archimedischer Hebel für die Hebung des allgemeinen Bewusstseins-Niveaus gegolten hatten. Auch Steve Jobs hat ja mal geäussert, was Bill Gates von Microsoft fehle, sei eine ordentliche LSD -Erfahrung.
Natürlich wäre das nicht unbedingt eine gute Idee gewesen, doch jetzt waren wir auf den Geschmack gekommen und fragten uns, wie denn ein Stoff eigentlich wirken müsste, der Geist und Bewusstsein in unserem Sinne verändern könnte. Es müsste etwas ganz Neues her. Etwas, das zunächst die gröbsten Hindernisse für die freie Entfaltung unseres Geistes beseitigen würde, wie etwa die geistige Platzangst, die Neigung, uns immer mit dem Falschen
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