Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
hingegen war es immer noch derselbe Flickenteppich aus miteinander verfeindeten Stadtstaaten, der es seit dem Untergang des Römischen Reiches gewesen war.
    Je mehr er über all diese Dinge las, desto mehr fesselten sie ihn. Als er die Papiere etwa zur Hälfte durchgearbeitet hatte, stieß er auf eine Stelle, die er nicht ganz verstand. Beim erneuten Lesen gewann er den Eindruck, dass man in Wien erkannt hatte, auf welche Weise gewisse Aspekte des geplanten Abkommens mit Berlin den Österreichern beträchtliche Vorteile verschaffen könnten. Ob Tregarron das nicht aufgefallen war? Oder hatte er es vergessen?
    Jack ging die Passage noch einmal sorgfältig durch, machte sich eine Notiz und las die Papiere zu Ende. Er kehrte noch einmal zu der Stelle zurück, die ihn hatte stutzen lassen, nahm dann das ganze Konvolut und suchte Tregarrons Büro auf. Auf sein Klopfen hin wurde er sofort zum Eintreten aufgefordert.
    »Nun, was halten Sie davon?«, fragte der Staatssekretär lächelnd und sah ihn erwartungsvoll an. Er hatte sich in seinem Sessel entspannt zurückgelehnt. Beim Anblick von Jacks Gesichtsausdruck runzelte er die Brauen. »Sehen Sie da etwa Schwierigkeiten?«, fragte er ohne Besorgnis in der Stimme; sie klang eher ein wenig belustigt.
    »Ja, Sir.« Jack kam sich töricht vor, doch die Sache beunruhigte ihn zu sehr, und es entsprach nicht seiner Art, sich feige zurückzuhalten. »Die Formulierung des zweiten Absatzes auf Seite vierzehn erweckt mir den Eindruck, dass die Österreicher Kenntnis von dem anvisierten Abkommen mit Berlin haben, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, woher sie das wissen könnten. Jedenfalls würde das meiner Einschätzung nach bedeuten, dass ihnen das die Möglichkeit gäbe, einen ungerechtfertigten Vorteil daraus zu ziehen.«
    Mit zusammengezogenen Brauen streckte Tregarron die Hand aus.
    Jack gab ihm die Papiere.
    Tregarron las das Blatt zweimal sorgfältig von oben bis unten durch. Schließlich hob er den Blick zu Jack und sagte mit ernster Miene: »Sie haben recht. Das muss umformuliert werden. Genau genommen dürfte es das Beste sein, den ganzen Absatz zu streichen.«
    »Damit würde Berlin aber nach wie vor in die Irre geführt, Sir«, sagte Jack unglücklich. »Ich weiß nicht, auf welche Weise die Österreicher davon erfahren haben, aber dem Bericht zufolge, den wir gestern bekommen haben, sind sie über die Sache informiert.«
    »Sofern deren Nachrichtendienst, auf welche Weise auch immer, dahintergekommen ist, bedeutet das keineswegs, dass wir verpflichtet wären, die Deutschen darüber zu informieren«, gab Tregarron zurück. Sein Blick wurde hart. »Aber Sie hatten völlig recht, mich darauf aufmerksam zu machen. Der Hinweis muss getilgt werden. Gute Arbeit, Radley.« Er lächelte und zeigte dabei seine kräftigen weißen Zähne. »Sie haben uns vor einer möglicherweise peinlichen Panne bewahrt. Ich danke Ihnen.«
    Als Jack am Abend Emily zu einer Gesellschaft begleitete, die sie unbedingt besuchen wollte, schweiften seine Gedanken von den Tischgesprächen ab und kehrten zu dem zurück, was Tregarron über die Unstimmigkeit in dem Vertragsentwurf gesagt hatte. Seiner Erfahrung nach unterliefen dem detailversessenen Tregarron solche Schnitzer nicht. Wieso war ihm die Sache dann nicht selbst aufgefallen?
    Emily, die ihm gegenübersaß, war ganz in Rosa, was für sie ungewöhnlich war. Sie hatte stets gesagt, diese Farbe sei für sie zu auffällig und passe besser zu einer Frau dunkleren Typs. Doch das Kleid mit seinem Spitzeneinsatz und den riesigen Ärmeln, die ihre schmalen Schultern und den Hals betonten, stand ihr außerordentlich gut. Er sah, dass sie den Abend genoss, merkte aber an der Art, wie sie sprach und den Kopf ein wenig steif hielt, dass sie sich nach wie vor über Charlotte ärgerte. Sie schien entschlossen, den Streit erst zu beenden, wenn sie von der Schwester eine zufriedenstellende Entschuldigung bekam. Nicht nur schien er die Sache mit seiner Anregung, sie solle Charlottes Brief beantworten, verschlimmert zu haben, sie hatte sogar in verächtlichem Ton durchblicken lassen, dass sie ihn für nicht durchsetzungsfähig hielt. Zwar galt ihr Zorn nicht ihm, sondern Charlotte, doch kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass es nicht klug sein würde, einen erneuten Anlauf zu unternehmen, jedenfalls nicht gleich.
    Höflich ging er auf das Geplauder seiner Tischnachbarin ein. Es war ihm stets mühelos gelungen, seinen Charme spielen zu lassen, und es kostete

Weitere Kostenlose Bücher