Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
dass das ihre Worte waren. Habe ich da unter Umständen etwas falsch verstanden? … Es entspricht nicht ihrer Art, um die Wahrheit herumzureden.«
    Adriana hielt den Blick auf den Tisch gesenkt. »Das kann ich bestätigen. War sie nicht sogar eine Freiheitskämpferin?«
    »Ganz wie Mrs. Montserrat«, gab ihr Charlotte recht. »Die beiden kannten einander schon lange. Tante Vespasia hat immer hervorgehoben, wie tapfer Mrs. Montserrat war und wie offen sie jederzeit ihre Ansichten vertreten hat.«
    Adriana lächelte. »Ja, genau so ist es. Mein Vater hat mir von ihr erzählt …« Sie zögerte einen Augenblick, holte tief Luft und versuchte, die Rührung in ihrer Stimme zu unterdrücken, bevor sie weitersprach. »Er hat immer gesagt, dass sie die Tapferste von allen war. Manchmal hatte sie mit ihrem Handeln gerade deshalb Erfolg, weil niemand damit rechnete, dass eine Frau klar denken und ein Gewehr ruhig halten und schießen konnte, nachdem sie die ganze Nacht durch Wälder geritten war.« Sie achtete nicht auf die Tränen, die ihr in die Augen traten. »Ich kann mich gut erinnern, wie sie gelacht und gesungen hat. Sie hatte eine herrliche Stimme. Es tut mir so leid.« Sie senkte den Blick erneut, weil ihr die Tränen jetzt ungehindert über die Wangen liefen. Blind tastete sie in ihrem Ridikül nach einem Taschentuch und schnäuzte sich, nachdem sie es gefunden hatte.
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, versicherte ihr Charlotte. »Der Verlust Ihres Vaters muss entsetzlich gewesen sein, und nach allem, was Sie gesagt haben, ist mir klar, dass Sie ihn nach wie vor vermissen. War Mrs. Montserrat damals auch dabei?«
    Überrascht gab Adriana zurück: »Ja. Das … das war sie. Ich spreche normalerweise nicht darüber, weil ich dann immer die Fassung verliere. Bitte entschuldigen Sie. Es ist einfach lächerlich. Bestimmt sehen alle zu mir her.«
    »Viele Leute haben Sie ohnehin angesehen«, gab Charlotte lächelnd zurück. »Männer mustern eine schöne Frau mit Freude, Frauen voll Neid, und wenn sie dann auch noch elegant gekleidet ist, tun sie das mit der Absicht, zu sehen, was sie davon übernehmen können. Die Schlimmsten sehen eine schöne und elegante Frau besonders aufmerksam an, weil sie unbedingt einen Makel an ihr entdecken wollen.«
    »Dann habe ich die ja zufriedengestellt«, gab Adriana in sarkastischem Ton und mit süßsaurem Lächeln zurück.
    »Ach was. Gegen ein mitfühlendes Herz ist nicht das Geringste einzuwenden«, versicherte ihr Charlotte. Sie merkte, dass sie die Herrschaft über die Unterhaltung zu verlieren drohte und diese erneut die Richtung auf belangloses Geplauder nahm. »Hat Mrs. Montserrat Ihnen gegenüber von Ihrem Vater gesprochen? Das muss für Sie zugleich schön und schmerzlich gewesen sein, denn sicher kannten Sie außer ihr niemanden, mit dem Sie sich gemeinsam an ihn erinnern konnten oder der Ihnen bestätigen konnte, wie mutig er war, was ihn freute und was er nicht ausstehen konnte.«
    Adrianas Blick wurde weich. »Ja. Sie hat mir über seine Liebe zur Geschichte berichtet und gesagt, dass er all die alten Erzählungen über die Helden des Mittelalters kannte: wie unser Herzog Porga in einer Botschaft an den byzantinischen Kaiser Herakleios um die Entsendung von Missionaren bat. Das hat der Kaiser an den Papst weitergeleitet, der daraufhin im Jahre 640 Missionare an die Küste Dalmatiens schickte. Auch die Geschichten von Herzog Branimir und viele andere waren ihm geläufig. Obwohl sie selbst Italienerin war, kannte auch sie all diese Namen und wusste, was die Männer getan hatten. Als sie mich ermuntert hat, mich an die Geschichten zu erinnern, die mein Vater immer erzählt hat, habe ich gemerkt, dass ich nur noch Bruchstücke davon wusste.«
    Charlotte versuchte sich vorzustellen, wie Adriana an Serafinas Bett gesessen und geduldig gewartet hatte, bis die alte Frau aus ihren unzusammenhängenden Erinnerungen dies und jenes hervorgekramt hatte, was für kurze Zeit die Erinnerung an den geliebten Vater wieder lebendig werden ließ.
    Ob sie sich daran erinnerte, dass sie mit angesehen hatte, wie er misshandelt und dann über und über mit Blut bedeckt in die Knie gezwungen worden war, damit man ihm von hinten eine Kugel durch den Kopf schießen konnte? Sah sie nach wie vor die von Wut verzerrten Gesichter vor sich, den blitzenden Lauf der Todeswaffe? Hörte sie noch in ihrem Inneren den Widerhall der Schmerzens- und Angstschreie, erinnerte sie sich an die Stille, die

Weitere Kostenlose Bücher