Mord in Oxford
war mit Camilla los? Als sie Kates Haus verließ, hatte sie ihre Emotionen unter Kontrolle. Konnte es nicht sein, dass die Freundin so lange Gefühle in sich vergraben hatte, bis sie eines Tages explodierten? Gefühle, die sich dann aber nicht in Tränen äußerten, wie Kate es im Park erlebt hatte, sondern vielleicht in Gewalt und Mord mündeten? So ganz konnte sie den Gedanken nicht von der Hand weisen. Ehe der Mörder nicht dingfest gemacht war, würde sie tief im Innern nicht mehr in der Lage sein, ihrer Freundin völlig zu vertrauen. Immer würde zwischen ihnen die unausgesprochene Frage stehen, ob sie es nicht vielleicht doch getan hatte.
Kate setzte sich auf und zog den Stöpsel heraus. Heute Abend sollte sie sich eigentlich mit Andrew treffen. Zwar brauchte sie jemanden, mit dem sie ihre Albträume teilen konnte, aber sie glaubte eigentlich nicht, dass Andrew der Richtige dafür war. Wenn sie, wie es ihre Art war, alles hervorsprudelte, was sie bedrückte, würde Andrew sie so lange bearbeiten, bis sie ihre Eigeninitiative aufgab. Dann würde er sie in seinen roten Ford Sierra packen, zur Wache in St. Aldate bringen und sie höchstpersönlich durch die Tür begleiten. Nein. Sie musste ihn auf den nächsten Abend vertrösten, bis dahin war alles vorüber.
Noch bevor sie ganz angezogen war, klingelte das Telefon schon wieder. Dieses Mal war es Rose. Sie klang nervös und besorgt und hoffte inständig, dass Kate sich an die vereinbarte Geschichte über die Aktivitäten der vergangenen Nacht hielt. Immerhin, sagte sie, kann es doch gar nicht sein, dass dieser Mord etwas mit der Gruppe zu tun hat, oder?
10. KAPITEL
K
ate war froh, dass sie gebadet, ihr Haar gewaschen und etwas Frisches angezogen hatte, denn kurze Zeit später klingelte es. Vor der Tür standen zwei junge, saubere, sehr höfliche Männer mit sehr kurz geschorenen Haaren. Nachdem sie ihre Ausweise flüchtig kontrolliert hatte, bat Kate beide herein und forderte sie auf, sich zu setzen.
Sie fragten, ob Kate am vergangenen Abend irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt habe. Diese erzählte ihnen wahrheitsgemäß, dass sie ihre Fenster und Türen gesichert und alles ordentlich verstaut habe, was hätte wegfliegen können. Anschließend hätte sie sich sofort, und zwar im Laufschritt, zu Roses Haus begeben. Nicht ganz der Wahrheit entsprach ihre Aussage, sie habe den ganzen Abend damit verbracht, zu den Klängen einer Jane-Fonda-Kassette Gymnastik zu machen. Sie gab vor, noch immer Muskelkater zu haben, und berichtete von dem Club-Rennen, das in drei Wochen stattfinden sollte. Hingegen unterließ sie es, die Runden um den Block zu erwähnen, bei denen sie Lynda und Theo ausspioniert hatte. Das Wetter sei so scheußlich und die Nacht so dunkel gewesen, und bei Rose mit den Freunden habe sie so viel Spaß gehabt, dass sie wirklich nichts bemerkt habe, so Leid es ihr auch tat. Und wenn sie irgendwie helfen könne, solle man ihr das doch bitte mitteilen. Es sei schrecklich, wie viele Autos in der letzten Zeit in Oxford abhanden gekommen wären, und … es ging doch um einen gestohlenen Wagen, nicht wahr? Anschließend fragten die Polizisten, ob ihr der Name Yvonne Baight etwas sage, und sie antwortete: Die Zahnärztin? Aber natürlich kenne ich die! Sie kümmert sich um meine Zähne, und außerdem gehören wir der gleichen Jogging-Gruppe an. Wieso? Ist ihr etwas passiert? Es geht ihr doch gut, Herr Kommissar, oder? Aber die jungen Männer antworteten nur, dass ihr Vorgesetzter später am Tag ein Communiqué herausgeben würde, und vorerst vielen Dank, Miss Ivory, und falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, selbst wenn es sich nur um eine Kleinigkeit handelt, dann informieren Sie uns doch bitte. Mit diesen Worten gaben sie ihr eine Telefonnummer.
Sie begleitete die Polizisten hinaus, und sie bedankten sich noch einmal. Eigentlich hatte Kate keinen Grund anzunehmen, die beiden könnten die Geschichte nicht glauben; trotzdem bekam sie den Eindruck, dass sie nicht ganz zufrieden mit ihr gewesen waren und dass sie die Männer bald wiedersehen würde. Nun, sie hatte Camilla 24 Stunden Stillhalten versprochen. Danach würde sie Polizistenbesuche etwas entgegenkommender behandeln. Fürs Erste machte sie sich daran, ihren Kaminsims aufzuräumen.
Wenn ein Teil ihres Romanentwurfs sich als widerspenstig erwies, beschäftigte Kate sich gerne mit einfachen häuslichen Tätigkeiten. Während ihre Hände arbeiteten, war der Kopf frei zum Nachdenken über ihr Problem.
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