Mord in Tarsis
verbranntes Pech, den Geruch von Teer. War das ein Schiff? Wie war er hierhergekommen? Wo war der Assassine? Der Kampf war das letzte, woran er sich erinnerte. Er war so schwach und erschöpft, daß er wußte, er konnte an seiner Verfassung nichts ändern, nicht einmal rufen. Er merkte, wie ihn erneut der Schlaf überkam, und glitt ins Vergessen, doch dabei murmelte er Beschwörungen, die er vor Jahren gelernt hatte – Anrufungen, die ihn vor bösen Träumen schützen sollten.
3
Der Fürst von Tarsis beriet sich mit seinem Inneren Rat. Nach altem Brauch waren alle maskiert, so daß bei einer Abstimmung jeder als anonym galt, obwohl natürlich jeder Anwesende die Identität der anderen kannte. Nur der Fürst trug keine Maske. Er war ein großer Mann mit langem, hagerem Gesicht. Er hatte sein Amt nicht durch Geburtsrecht inne, denn der Fürst wurde vom Großen Rat gewählt, zweihundert Aristokraten, die den Fürst aus dem zehnköpfigen Inneren Rat auswählten. Um einen Sitz im Inneren Rat zu erlangen, brauchte man viel Sinn für Rivalität, Berechnung und das Talent, jemandem in den Rücken zu fallen. Wer am meisten über diese Eigenschaften verfügte, wurde zum Fürsten von Tarsis gewählt. Deshalb war jeder Fürst der fähigste und zugleich auch der skrupelloseste Adlige des Landes.
Die gewöhnlichen Menschen in Tarsis wußten von solchen Angelegenheiten überhaupt nichts. Bestimmte Personen waren von Geburt her Aristokraten, und ihr Anführer war der Fürst von Tarsis. Das einfache Volk wußte selten seinen Namen und erfuhr nie, wenn einer starb oder abgesetzt oder anderweitig ersetzt wurde. Was das Volk betraf, so hätte seit der Gründung der Stadt auch immer derselbe Fürst im Amt sein können.
Im Gegensatz zu den Aristokraten der meisten Nationen verdankte der Adel von Tarsis seine Position nicht ausgedehnten Ländereien mit Höfen, Herden und Pächtern. Sie waren Abkömmlinge der großen Kaufmannsfamilien der Stadt. Viele machten harte Zeiten durch, aber sie bemühten sich mit aller Macht, den Pomp und ihren Status als Aristokraten zu erhalten. Wenn eine Familie wirklich verarmte, verließen ihre Angehörigen gewöhnlich lieber die Stadt, als die Demütigung zu erdulden, ihren Titel zu verlieren.
Das Land um Tarsis war ohnehin schlecht und nicht zur erfolgreichen Bewirtschaftung geeignet. Die kleinen Höfe nahe der Stadt konnten nichts weiter als das hervorbringen, was zur Ernährung der Stadtbewohner gebraucht wurde. Die Ebene beherbergte Herden, die die rauhen Winter ertragen und von dem kurzen, harten Gras leben konnten, das dort nicht gerade reichlich wuchs. Wie in den meisten Ländern gehörten diese Herden Nomaden, die Tarsis ebenso schnell überfielen, wie sie mit der Stadt Handel trieben. Die Nomaden waren kriegerisch und unberechenbar und brachen mitunter jahrelange Friedensverträge aus purer Langeweile. Sie hätten die Stadt schon vor vielen Jahren zerstören können, wenn sie sich nicht unablässig untereinander bekriegt hätten.
Es waren diese Nomaden, die dem Fürsten von Tarsis heute nacht zu schaffen machten.
»Meine Herren«, begann er, »es wird Zeit für bestimmte Entscheidungen bezüglich der Gesandtschaft, die uns Kyaga Starkbogen, der neue Häuptling der Nomadenstämme, geschickt hat.«
»Ist Gesandtschaft nicht ein zu gewähltes Wort für ein Rudel ungewaschener Wilder?« sagte einer, den der Fürst als Geheimrat Rukh erkannte, sein schärfster Rivale bei der letzten Wahl, ein Mann, der immer noch sehr gerne Fürst von Tarsis werden wollte.
»Es ist in der Diplomatie üblich, alle Gesandten gleich zu behandeln, ob sie große, zivilisierte Nationen oder primitive Stämme vertreten. Das ist natürlich Fiktion, aber es hat jahrhundertelang gut funktioniert. Dieser Kriegerhirte ist Botschafter Yalmuk Blutpfeil, und sein Gefolge ist zu tolerieren, solange sie den Frieden halten.«
»Das wird nicht lange dauern«, sagte ein anderer, dessen gelbe Maske das Gesicht von Geheimrat Blasim verbarg, ein fetter, fauler Mann, dessen großer Reichtum ihm den Platz im Inneren Rat verschafft hatte. »Diese ungebildeten Wilden haben keinen Sinn für Zurückhaltung. Sie werden sich schon bald betrinken und Kämpfe anzetteln.«
»Falls das passiert, wird man sie aus der Stadt werfen. Kommt schon«, sagte der Fürst ungeduldig. »Das sind Nebensächlichkeiten. Daß wir die Barbaren nicht mögen, ist nicht wichtig. Wir müssen mit ihnen verhandeln, und nur eine einige Front und eine Politik, der
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