Mord ist auch eine Lösung
es. Honey ließ ihren Gast mit klappernden Nadeln auf dem Sofa sitzen. Auf dem ersten Treppenabsatz begegnete sie Mary Jane.
»Stören diese Nadeln deine spirituellen Vibrationen so sehr wie meine?«, fragte Mary Jane.
»Äh…« Honey zögerte. Schließlich wurde sie nicht jeden Tag nach dem Zustand ihrer spirituellen Vibrationen gefragt. Sie wusste eigentlich nicht mal genau, ob sie so was überhaupt hatte. »Ich bin mir nicht sicher.«
»Also, meine bringt das jedenfalls völlig durcheinander«, flüsterte Mary Jane, deren Augen rollten, als hätte ein Riese sie bei den Schultern gepackt und schüttelte sie hin und her.
»Ah«, meinte Honey. »Ich kann mir vorstellen, dass das ziemlich lästig ist. Kannst du nichts dagegen tun?«
Sie hatte gedacht, dass Mary Jane sich vielleicht eine Tasse Kräutertee kochen wollte oder so was Ähnliches. Damit lag sie ziemlich falsch.
Mary Janes Augen verengten sich. Man konnte diesen Blick nur als bedrohlich beschreiben.
»Ich habe mir überlegt, es noch einmal mit ein bisschen Hypnose zu probieren, damit sie endlich mit der Strickerei aufhört. Wenn alles andere nicht funktioniert, habe ich auch noch ein Buch mit Zaubersprüchen auf dem Zimmer. Man weiß ja nie, wann man mal einen brauchen kann.«
Panik ergriff Honey.
»Das hast du aber neulich nicht gemacht, als sie schon einmal in Trance gefallen ist, oder? Einen Zauberspruch verwendet?«
»Nein! Wofür hältst du mich? Für eine Art Scharlatan? Das war
sie
! Sie hat sich von irgendeiner ätherischen Gestalt im Raum in diesen Zustand hineinziehen lassen – entweder das, oder sie hat was gegessen, was ihr nicht bekommen |94| ist. Es gibt ja so viele Dinge, die das übersinnliche System durcheinanderbringen können.«
Honey, die aus tiefstem Herzen hoffte, dass das, was Frau Hoffner nicht bekommen war, nicht aus ihrer Küche stammte, seufzte erleichtert. »Puh! Gott sei Dank, also kein Zauberspruch.«
»Wenn ich sie in Trance versetzen würde, dann würde sie in diesem Zustand nur so lange bleiben, bis es Zeit ist, dass sie wieder aufwacht. Das neulich, das war ein einmaliger Ausrutscher. Da bin ich mir sicher. Ich gehe jetzt zum Brunch.«
Honey war sich nicht so sicher. Sie stand wie versteinert da. Mary Jane konnte einen wirklich verwirren. Es dauerte oft eine ganze Weile, ehe Honey begriff, was Mary Jane gerade meinte. Sonst hätte sie sicher gefragt, wieso Frau Hoffner neulich überhaupt in Trance verfallen war. Aber ein rätselhaftes psychisches Phänomen reichte ihr. Außerdem hatte sie zu tun. Dumpy Doris aalte sich im Süden und sonnte ihr breites Hinterteil. Also musste Honey mithelfen. So ging es allen Hotelbesitzern. Außer natürlich Casper. Der hatte feine Finger mit perfekt manikürten Nägeln. Der machte keine Betten, der schwang keine Klobürste. Bei Honey war das anders. Doris war weg. Und sie hatte jetzt zu tun.
|95| Kapitel 13
Auf dem Korridor im Obergeschoss hievte Anna Berge sauberer Laken aus dem Wäscheschrank und lud sie auf den Wagen des Zimmermädchens.
»Ah!«, rief sie, sobald sie Honey gesichtet hatte. »Ich mache jetzt meine Teepause und füttere dann Bronica. Aber erst muss ich noch telefonieren.«
Sie wartete Honeys Antwort gar nicht erst ab, sondern flitzte, mit ihrem Handy wedelnd, los. Anna hatte in Swindon polnische Verwandte. Mit denen telefonierte sie andauernd, mehr als zu der Zeit, als sie noch in Krakau gewohnt hatten.
»Dauert nicht lange«, rief sie über die Schulter zurück.
Sie war viel zu schnell verschwunden, als dass Honey ihr noch hätte nachrufen können, dass es höchstens zehn Minuten sein dürften. Und nicht mehr. Nicht dass sie sich übertriebene Hoffnungen machte. Anna war eine begeisterte Raucherin, und Honey tippte, dass es sie wahrscheinlich nach einer Zigarette verlangte. Obwohl Honey ernsthafte Zweifel hegte, redete sie sich ein, Anna würde sicherlich kommen und sich um Bronica kümmern, sobald sie fertig war. Rauchen und mit entfernten Verwandten telefonieren, das war für Anna sehr wichtig. Nicht dass Bronica nicht wichtig für sie gewesen wäre. Natürlich war sie das. Nur war für Anna alles, was sie gerade machte, wichtig. Sie war eine sehr intensiv lebende junge Frau.
Honey öffnete ganz vorsichtig die Tür des Wäscheschranks, um den kleinen Wurm nicht zu stören. Auf dem untersten Brett, gleich neben den Reservekissen und den Matratzenschonern, stand die Babytragetasche. Die süße |96| Kleine, kaum drei Monate alt, schlief tief und fest.
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