Mord nach Drehbuch
schon«, murmelte sie.
Man musste kein Genie sein, um zu merken, dass Courtney wusste, dass die Chef-Maskenbildnerin sich mehr für weibliche Wesen interessierte. Sie nickte nur. Ja, Martyna Manderley und Sheherezade Parker-Henson waren Freundinnen gewesen. Offensichtlich weit mehr als nur Freundinnen, überlegte Honey.
Kalte Morgenluft wehte in den Wohnwagen, als ein Typ namens Deke erschien, ein weiterer Assistent des Regisseurs Boris Morris.
Er war Mitte zwanzig und hatte sicherlich irgendwann beim Frisör den kürzestmöglichen Bürstenhaarschnitt verlangt. Pech für ihn, dass er einen starken Haarwuchs hatte. Inzwischen standen die Haare wie schwarze Borsten auf einem Schrubber in die Höhe. Er hatte schwarze Augen, und seine Oberlippe zierte ein dünner Schnurrbart. Vielleicht sollte der als Gegengewicht zu dem Kurzhaarschnitt dienen, dachte Honey. Vielleicht war er aber auch nur aufgemalt. Gewundert hätte es sie nicht. Vielleicht hatte Courtney den Bart für ihn hingepinselt.
»Courtney, Schätzchen, ist die Apfelfrau fertig?«
Nein, bin ich nicht, wollte Honey antworten.
Schwer im Stress, mit nur zwei Händen und einer langen Schlange von Straßenfegern, Verkäufern und eleganten Paaren in Samt und Seide, stand Courtney kurz vor einem mittleren Nervenzusammenbruch.
»Ich bin ganz allein hier«, platzte sie schließlich mit gepresstem Stimmchen heraus. Es schien, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. »Und ich tue wirklich, was ich kann, aber allein schaffe ich es einfach nicht!«
Honey bemerkte, wie sehr ihre Hände zitterten.
Deke, der Dreckskerl, wie Honey ihn gerade getauft hatte, verdrehte die Augen.
»Leg einen Zahn zu, Süße. Das bisschen Tünche sieht sowieso keiner. Die stehen ja nicht im Rampenlicht!«
Seine kesse Bemerkung ließ die junge Frau nur noch mehr zittern. Honey tat sie leid. Okay, der Typ hatte auch seinen Job zu machen, aber Sozialkompetenz war garantiert nicht seine Stärke.
»Das musste ja eines Tages passieren«, meinte Deke. »Es war abzusehen, dass die verdammte Sheherezade Parker-Henson irgendwann einmal unter die Räder kommt. So supereingebildet wie die ist. Hast du ’ne Ahnung, wo sie stecken könnte, Schätzchen?«
»Weiß nicht«, antwortete Courtney. Der Pinsel bebte in ihrer Rechten. Dickes Rouge von der Farbe roten Ziegelstaubs bröselte aus einem Döschen in ihrer linken Hand.
Honey hielt die Augen weit aufgerissen und betrachtete ihr Spiegelbild. Wenn sie Pech hatte, würde sie am Ende aussehen wie der Kerl, der im Weihnachtsmärchen die Frauenrolle spielte. Besonders ekelig war die Warze, die man ihr an die Nasenspitze geklebt hatte. Im Augenblick war sie eher Wetterhexe als Apfelfrau. Dieser Deke fiel ihr inzwischen auch ziemlich auf den Wecker, und Courtney brauchte ein bisschen Unterstützung.
»Sehen Sie mal«, sagte sie und wandte sich an Deke, während sie gleichzeitig Courtneys bebende Hand packte. »DasMädel hier versucht gerade alles Menschenmögliche. Aber sie kann es schlecht allein schaffen. Meinen Sie nicht, es wäre eine gute Idee, wenn jemand die andere Frau von der Maske suchen ginge? Vielleicht hat sie verschlafen?«
Deke starrte sie an, als wäre sie gerade vom Himmel gefallen. Selbst für die niedrigsten Chargen im Team waren die Statisten das Allerletzte. Wie Kinder in der guten alten Zeit sollte man sie sehen, aber bloß nicht hören.
»Ich lasse mir doch von einer ganz gewöhnlichen Statistin nicht sagen, was ich zu tun und zu lassen habe!«
»Ich bin Komparsin!«
Er packte sie bei der Schulter. »Auf diesem Set sind Sie rein gar nichts, liebe Dame! Vielleicht ein winziger Bruchteil mehr als die große fette Null!«
Da kochte die Wut in ihr hoch. Die Apfelfrau verwandelte sich in Lara Croft. Vielleicht lag es am Make-up. Vielleicht auch nicht.
»Also jetzt machen Sie mal halblang, Sie kleiner Rotzbengel …«
Leider war sie ein wenig zu schnell und unelegant von ihrem Stuhl aufgefahren. Die Stange, auf der ihr Fuß geruht hatte, löste sich aus ihrer Befestigung. Das Spind, in das das andere Ende hineingesteckt war, neigte sich, schwankte und krachte zu Boden.
Deke blies sich zu seinen vollen ein Meter sechzig auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Da!«, keifte er mit wütendem Schnauben. »Jetzt schauen Sie sich an, was Sie angerichtet haben! Also,
ich
sammle das Zeug nicht ein.«
Honey hatte es die Sprache verschlagen. Sie war sich verschwommen bewusst, dass auch Courtney in die gleiche Richtung
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