Mord ohne Leiche
war
buchstäblich vollgestopft mit Kleidern. Auf dem Ablagebrett über der
Kleiderstange stapelten sich Pulloverschachteln, und unten lag alles voller
Schuhe. Im antiken Schrank sah es genauso aus. Alle Kleider waren so
zusammengepreßt, daß man sie vor dem Tragen erst hätte auf bügeln müssen. Oben
auf dem antiken Schrank saß ein großes Stofftier, ein Einhorn, das hochmütig
auf mich herabschaute.
Amy lehnte am Türrahmen und nippte an
ihrem Weinglas. »Trace brauchte dauernd irgendwelche Sachen«, sagte sie.
»Das sieht man.«
»Sie ging gerne einkaufen, lud sich
überall mit Sachen voll. Kleider, Kosmetika, Möbel, Kram für die Wohnung.«
Nach Auskunft von Laura Kostakis hatte
Tracy nie ihre Kreditkarten mißbraucht. Was bedeutete »Mißbrauch« bei Leuten mit
ihrem finanziellen Hintergrund? Und was war im letzten Jahr, als Tracy ihr
eigenes Kreditkartenkonto eröffnet hatte? Sie konnte nicht genug verdient
haben, um alles bar bezahlen zu können, und die meisten Gesellschaften setzten
bei neuen Karten den Kreditrahmen recht niedrig an.
Amy empfand mein Schweigen offenbar als
Mißbilligung der Gewohnheiten ihrer Freundin. Sie sagte: »Sehen Sie, Trace mag
konsumsüchtig gewesen sein, aber sie war ein guter Mensch. Sie war großzügig,
hat den Leuten dauernd Geschenke gemacht. Und sie kaufte nur gute Sachen. Das
Zeug für die Küche zum Beispiel — eine teure Mikrowelle, ausgewähltes Porzellan
und Besteck, Edelstahl-Kochgeschirr aus Dänemark — «
»Amy, würde es Ihnen etwas ausmachen,
wenn ich mir das Zimmer allein anschaue? Ich kann mich dann besser
konzentrieren.«
Abrupt machte sie den Mund zu, drehte
sich um und schlenderte zurück ins Wohnzimmer.
Empfindlich, dachte ich und schaute ihr
nach. Empfindlich und reichlich sprunghaft. Ich war mir nicht sicher, ob die
Behauptung des Pflichtverteidigers stimmte, nach der Amy bei der Verhandlung
gegen Bobby Foster nicht alles gesagt haben sollte, was sie wußte. Aber es war
mehr an ihr, als der erste Augenschein vermuten ließ.
Ich durchsuchte das Zimmer sorgfältig
und nahm mir Zeit dazu. Nur wenige Dinge, auf die ich stieß, interessierten
mich — bis auf das dicke Notizbuch, in dem Tracy die Figuren skizziert hatte,
die sie auf der Bühne verkörperte. Ich legte es zur Seite, um es mitzunehmen.
Es würde mir helfen, sie besser kennenzulernen. Ich würde es kopieren und das
Original zurücklegen, bevor Laura Kostakis sein Fehlen bemerkte.
Interessant war die geringe Anzahl
persönlicher Dinge, die ich vorfand. Es gab keine Briefe, Postkarten,
Souvenirs, Tagebücher, nicht einmal einen Terminkalender. Natürlich war es
möglich, daß diese Dinge von der Polizei oder Laura Kostakos mitgenommen worden
waren. Vielleicht gehörte Tracy auch nicht zu den Menschen, die Sachen
aufbewahren oder Tagebuch führen. Schließlich merkte ich, daß es schon nach acht
war. Ich nahm das Notizbuch mit den Rollenskizzen und ging ins Wohnzimmer
zurück.
Amy hockte auf der Couch und hatte das
nächste Glas Glühwein in Angriff genommen. Als ich eintrat, sah sich mich
schmollend an.
»Ich hatte Sie eigentlich fragen
wollen, ob Ihnen aufgefallen ist, daß etwas von Tracys Sachen fehlt, aber
nachdem ich das Zimmer gesehen habe, kann ich mir nicht vorstellen, wie das
möglich gewesen sein sollte.«
»Genau.« Ihr Humor kehrte zurück — ein
wenig davon. »Wenn man sieht, was sie alles besaß, ist klar, daß es unmöglich
war, auf dem laufenden zu bleiben.«
»Ich nehme an, ihr beiden wart gute
Freundinnen.«
»Die besten.«
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Durch einen Vermittlungsdienst für
Leute, die sich eine Wohnung teilen wollen — die bringen Leute mit gemeinsamen
Wünschen zusammen. Wo die Wohnung sein soll, wieviel sie kosten darf, ob
Raucher oder Nichtraucher. Sie wissen schon.«
Ich wußte Bescheid. Es gab recht
zweifelhafte unter diesen Agenturen, aber diese hatte es bei Amy und Tracy
offensichtlich getroffen.
Ich ging meine Routinefragen durch — in
einigen Fällen kannte ich die Antwort bereits. Andere dienten dazu, Amys
Wahrheitsliebe zu testen. Sie beantwortete alle, ohne zu zögern: Sie hatten vor
Tracys Verschwinden zwei Jahre zusammengewohnt. Sie hatten sich um die üblichen
Dinge gestritten, zum Beispiel, wenn zu oft Freunde über Nacht blieben. Sie
hatten einander ins Vertrauen gezogen, hatten zusammen Parties und Dinners
gegeben, hatten im Fitneß-Club ein paarmal die Woche Rackett gespielt. Soweit
Amy wußte, hatte Tracy keine
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