Mord unter den Linden (German Edition)
ab und hob jeden Gegenstand an, bis er plötzlich innehielt.
Otto hielt die
Petroleumlampe näher.
Der Anblick
erinnerte ihn an etwas.
Angestrengt dachte
er nach. Dann fiel es ihm ein.
Das war der
Beweis!
Schnell verließ er
den Geräteschuppen und rannte über den Rasen. Jetzt wussten sie endgültig, dass
sich der Kriminaldirigent am Tatort aufgehalten hatte. Jetzt nützte ihm auch
sein Leugnen nichts mehr.
Otto sprang die
Stufen empor, trat in den Flur und rief: »Herr Funke! Das sollten Sie sich
ansehen.«
Der Commissarius
erschien am Treppenabsatz und eilte die Stufen hinunter. Otto streckte ihm ein
Paar grobe Arbeitsschuhe entgegen, und Funke drehte sie hin und her. Dann sah
auch er es. Die Sohle hatte ein kreuzförmiges Muster. Plötzlich hellte sich
seine Miene auf. Das war das Profil, das sie an beiden Tatorten gefunden
hatten. »Wo haben Sie die her?«
»Unser Freund hat
sich im Garten eine Klausurzelle eingerichtet.«
»Ist da noch
mehr?«
Zusammen gingen
sie zum Schuppen, doch fanden sie dort keine weiteren Beweisstücke.
Währenddessen spürte Wachtmeister Holle jedoch im Schreibtisch des
Kriminaldirigenten ein Geheimfach auf, das man über einen versteckten
Drehmechanismus unter der Tischplatte öffnen konnte. In dem zwanzig mal zwanzig
Zentimeter großen Hohlraum fanden sich Fotografien von jungen Frauen. Einige
von ihnen lagen nackt auf einem Altar und befriedigten sich mit einem Kruzifix,
andere gaben sich einem jungen blonden Mann im Priestergewand auf jede
erdenkliche Weise hin. Auf zwölf Fotografien war auch Elvira Krause zu sehen.
Neben seiner
völlig verstörten und verweinten Frau sitzend, behauptete der Kriminaldirigent,
man habe ihm die Bilder untergeschoben, aber keiner der Polizisten zweifelte
daran, dass er diese Behauptung auf dem Revier zurücknehmen würde. Auf die
Schuhe angesprochen, gab er zu, dass sie ihm gehörten. Wenn er sich in seine
Hütte zurückzog, so behauptete von Grabow, trage er sie zusammen mit einem
Büßerhemd, um aller weltlichen Eitelkeit zu entsagen und innere Einkehr zu
halten.
Der Morgen graute
schon, und die Vögel begrüßten den anbrechenden Tag. Von Grabows Ehefrau, seine
beiden Töchter und die Hausangestellten versammelten sich auf der Veranda. Als
dem Kriminaldirigenten Handfesseln angelegt wurden, setzte er sich nicht zur
Wehr. Auch als er abgeführt wurde, ging er gehorsam neben Holle her.
Otto beobachtete
die Szene und spürte eine tiefe Befriedigung. Der hochtrabende Ankläger war als
gemeiner Verbrecher entlarvt worden und ging der gerechten Bestrafung entgegen.
Die jungen Berlinerinnen konnten jetzt wieder auf die Straße gehen, ohne Angst
zu haben.
Im Garten von »Klein-Sanssouci«
Am Seeufer spielte
eine sechsköpfige Kapelle. Im Garten promenierten Verwandte, Schulfreunde,
Kommilitonen und frühere Kollegen aus der Charité mit Champagnergläsern in der
Hand. Otto begrüßte einen Abgeordneten der Nationalliberalen Partei und ging
weiter zum Springbrunnen, wo er den Commissarius entdeckt hatte. Mit seinem
leicht changierenden Jackett, dem Gehstock mit Silberknauf und dem dunkelroten
Rubinring wirkte Funke mehr denn je wie ein exzentrischer Künstler. In seiner
Hand hielt er eine Pergamentrolle mit einer violetten Schleife.
Sie begrüßten sich
und tauschten einige Höflichkeiten aus. Dann fragte Otto, was ihn am meisten
interessierte: »Hat Kriminaldirigent von Grabow mittlerweile gestanden?«
»Er bekennt sich
hinsichtlich der Fotografien und der Erpressung von Elvira Krause für
schuldig«, erwiderte der Commissarius, »aber ansonsten streitet er alles ab.«
»Wie erklärt er
die Fußabdrücke?«
»Ich sollte es
Ihnen besser gleich sagen, mein Lieber. Auch Sie stehen unter Verdacht. Dieses
Schicksal teilen Sie mit dem Großteil der Berliner Bevölkerung. Von Grabow ist
nämlich davon überzeugt, dass eine Verschwörung angezettelt wurde, um ihn zu
ruinieren.«
»Das passt zu ihm!
Hat er für die beiden Mordnächte ein Alibi?«
»Diesbezüglich
verweigert er jede Aussage.«
»Wenn er nicht
einmal einen ernsthaften Versuch unternimmt, um sich zu verteidigen, muss er
der Täter sein.«
»Bei dieser
Beweislage ist davon auszugehen, aber wir sollten heute über Erfreulicheres
reden. Ich hab Ihnen ein Geburtstagsgeschenk mitgebracht.«
»Ich habe erst
morgen Geburtstag, aber dann werde ich es gern öffnen.«
»Mir würde es viel
bedeuten, wenn Sie sich das Geschenk in meiner Anwesenheit anschauen würden.
Ich möchte wirklich
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