Mord zur Geisterstunde
rangegangen.«
»Langsam kapiere ich die Sache«, meinte Honey und schlängelte sich in den Schalensitz.
Doherty ließ den Motor an. »Was?«
»Ihre Ladyschaft ist hierhergekommen, um ihren Teil des Erbes zu beanspruchen, und hat sofort begriffen, wie viel diese drei Filmrollen wert sind. Vetter Ashwell hatte sie bereits zur Auktion angemeldet. Warum sollte Lady Templeton-Jones verlangen, dass er sie wieder zurückzog? Weil sie für sie einen emotionalen Wert hatten?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab’s mir noch mal überlegt. Warum hätten sie die Rollen sonst wieder aus der Auktion nehmen sollen? Vielleicht hat ihnen jemand ein sehr gutes Angebot gemacht.«
Doherty nickte. »Klingt logisch. Aber wer?«
Honey starrte auf die lange Straße, die nach Bath führte. »Sie war auf dem Geisterspaziergang, um die Person zu treffen, die ihnen dieses unwiderstehliche Angebot gemacht hatte. Ich nehme an, Vetter Ashwell hat zunächst die Filmrollen aus Sicherheitsgründen auf DVD kopieren lassen. Also haben die beiden dem, der dieses Angebot gemacht hatte, nicht ganz über den Weg getraut. Ihre Ladyschaft hat beschlossen, ganz besonders vorsichtig zu sein. Sie hat die Tasche nicht einmal mitgenommen, sondern der Obhut von Adrian Harris anvertraut.«
»Und aus welchem Grund, Miss Marple?«
»Nenn mich nicht Miss Marple! Dann fühle ich mich so altbacken.«
»Das wirst du ganz sicher niemals sein.«
Sein Tonfall gefiel ihr sehr. Aber jetzt war weder die Zeit noch der Ort für neckische Spielchen. Sie hatten eine ernste Angelegenheit zu klären. Sie hörte ihm nicht mehr zu. Ihr ging etwas anderes durch den Kopf. »Sie ist mit dem Taxi gekommen.« Doherty begriff, worauf sie hinauswollte. »Und hat sich dann sofort dem Spaziergang angeschlossen.«
|288| »Wo war sie also zwischen dem Zeitpunkt, an dem sie die Tasche in der Bar hinterlassen hat, und dem Spaziergang? Hat sie sich mit jemandem getroffen? Der sie vielleicht auf den Gedanken gebracht hat, diese Filmrollen doch nicht zu verkaufen?«
»Und der davon ausgegangen war, dass sie die Rollen bei sich trug?«
»Was aber nicht der Fall war.«
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Honey legte den Kopf in den Nacken und schaute am Gebäude hinauf bis zur Dachrinne. »Verschwinden scheint sich hier ja zu einer Art Mode zu entwickeln.«
Doherty trommelte noch einmal an die Haustür von Ashwell Bridgewater. Durch die schmale Lücke zwischen der Häuserreihe und dem gegenüberliegenden Gebäude pfiff ein starker Wind. Er übertönte den Krach ein wenig, zumindest hoffte Honey das.
Sie ging langsam zum Blumenbeet hinüber und linste durch das Fenster im Erdgeschoss, das durch Steinstreben in drei Teile unterteilt war und eiserne Fensterrahmen hatte.
Im Inneren des Hauses hatte sich nicht viel verändert, wenn es auch ein bisschen unordentlicher schien, ganz so, als hätte jemand eilig gepackt.
Honey schirmte die Augen mit den Händen ab und schaute noch einmal durch die Scheiben. Es war keine Leiche zu sehen. Honey war sich nicht sicher, ob sie deswegen dankbar oder enttäuscht sein sollte. Diese lästigen Telefonverkäufer waren eine so verdammte Landplage.
»Keinerlei Lebenszeichen«, sagte sie und klopfte die Erde von den Schuhen, sobald sie wieder auf dem Gartenweg stand.
Doherty murmelte etwas vor sich hin – ein Zeichen dafür, dass er intensiv nachdachte. Er summte wie ein CD-Player auf Standby.
»Er ist abgehauen.«
»Das weißt du aber nicht sicher.«
»Hat das Geld genommen und ist an die Costa Brava verduftet.«
»Nein«, antwortete sie. »Der war nicht der Typ für die Costa Brava.« Sie wusste nicht, warum sie davon überzeugt war. Hatte |290| sie etwa das Zweite Gesicht? Oder hatte es damit zu tun, dass er gern charmant tat und Leute beeindruckte? Wahrscheinlich war sie deswegen zu dieser Schlussfolgerung gelangt.
»Wohin würde der denn gehen, was meinst du?«
»Er ist ein schleimiger Kerl. Thailand, da bin ich mir sicher. Er ist der Typ Mann, der für Sex immer bezahlen muss.«
Doherty zog fragend die Augenbrauen hoch. »So schlimm?«
»Glaub mir. Der hat finstere Geheimnisse.«
»Du etwa auch?«
Honey überlegte. »Na ja, es ist schon vorgekommen, dass ich die Unterhose von Königin Victoria in der Handtasche herumgetragen habe.«
Doherty grinste und lehnte sich näher zu ihr. »Ja, oder einen Brustschutz von Schlachtschiffausmaßen.«
»Klappe, mein Lieber! Sonst gibt’s noch Ärger.«
Northend war also eine Sackgasse. Doherty gab eine
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