Mord zur Geisterstunde
Dienstleistungen.
Lindsey runzelte die Stirn, während sie das dünne Papier in den Händen hielt. Es wäre nicht ratsam, etwas davon mitzunehmen. Quittungen konnte jemand vermissen. Schade, dass sie keine Zeit hatte, sie zu kopieren.
Als sie den Stapel wieder auf den Tisch legte, entdeckte sie zufällig eine zusammengetackerte Liste auf dem Briefpapier von Bonhams Auktionshaus. Nautische und andere Sammlerstücke.
|209| Sie blätterte sie durch. Ihr fiel darin nichts besonders auf. Aus dem Mittelalter war jedenfalls nichts dabei. Außer diesem Zeitalter interessierte sie seit Neuestem auch die Tudorzeit. Alles, was hier aufgeführt war, stammte aus dem neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Es war nichts dabei, was man aus der
Mary Rose
heraufgeholt hatte. Dieses Schiff hatte Heinrich VIII. gehört, und es war nach seiner Schwester benannt. So ein Fund wäre wirklich aufregend gewesen.
Nachdem Lindsey die Liste zunächst nur überflogen hatte, schaute sie noch einmal gründlicher hinein, blätterte zurück, ließ sich Zeit. Zunächst erregte wieder nichts ihre Aufmerksamkeit, bis sie die Überschrift
Erinnerungsstücke von der Titanic
las. Hatte sie da ein Geräusch gehört? Kam jemand die Treppe herauf? Rasch legte sie die Papiere wieder da hin, wo sie sie gefunden hatte. Aber jetzt ab ins Bad.
Wie das Schlafzimmer hatte auch dieser Raum sehr schräge Wände. Die Toilette befand sich ausgerechnet im niedrigsten Teil. Die hatte wohl ein Zwerg montiert, überlegte sie. Oder eine Frau, um sich an einem Mann zu rächen, der immer die Toilettenbrille offen stehen ließ?
Eigentlich war die Benutzung der Toilette nur ein Vorwand gewesen. Aber inzwischen war es wirklich nötig, denn sie hatte doch einige Zeit mit der Lektüre der Empfehlungen von
The Noble Present
vertrödelt.
Als sie wieder unten auftauchte, waren alle Augen auf sie gerichtet. Ihre Mutter schaute sie durchdringend an, und ein wenig länger als nötig. Lindsey konnte sich ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen. Das musste ihre Mutter einfach bemerkt haben. Die würde dann schon begreifen, was Sache war.
»Das mit Ihrer Frau tut mir wirklich leid«, rief Honey noch einmal über die Schulter zurück, als sie und Lindsey über die moosbedeckten Steinplatten entflohen.
»Herzlichen Dank«, antwortete Hamilton.
»Zu gütig«, flötete die ehemalige Fremdenführerin. Ihr Lächeln war viel zu süß und zu selbstzufrieden.
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»Die waren es!«, zischelte Lindsey, als sie hinter ihrer Mutter den Gartenpfad entlangpreschte. »Oder vielmehr er –
Noble Presence
oder
Noble Present
oder wie das immer heißt. Die Leitung hat ein gewisser Hamilton George. Und Simon Taylor, der Typ, den ihr bei dieser Firma in Trowbridge befragt habt, ist einer von seinen Leuten. Es ist ein Franchise-Unternehmen, weißt du. Simon Taylor hat sich in diese Franchise eingekauft. Und er hat auch der alten Dame den Titel verscherbelt.«
Honey machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder in Richtung Haus. »Weiß ich.«
Lindsey kam hinterher.
»Nein, überlass das jetzt mal mir, Lindsey.«
»Ich komme mit.«
»Das ist nicht dein Job.«
»Du kannst mir ja gar nicht wegrennen.«
Das stimmte. Lindsey war topfit.
Honey versuchte, ihre Schritte zu einem langsamen Joggen zu beschleunigen. Keine sonderlich gute Idee. Lindsey hatte Turnschuhe an und trug einen sehr attraktiven rosa-grauen Trainingsanzug. Honey hatte sich für Rock, Nylonstrumpfhose und hochhackige Schuhe entschieden, nicht sonderlich geeignet zum Rennen. Besonders die Schuhe. Sie kam von den Steinplatten ab und landete mit dem Absatz im Kies. Der brach ab.
»Verdammt!«
Sie warf dem Absatz einen giftigen Blick zu, ehe sie sich hinunterbeugte, um ihn aufzuheben.
»Schade. Diese Schuhe mag ich besonders gern«, jammerte sie. Genau in diesem Augenblick platzte auch noch die Blase an ihrer rechten Ferse. »Aber sie mögen mich nicht!« Sie zog beide |211| Schuhe aus. Kurz ausgeholt, und schon landeten die Stöckelschuhe im hohen Bogen im Goldfischteich und sanken zum Grund.
Lindsey nickte aufmunternd. »Da werden sich die Fische aber freuen.«
Honey bemerkte, dass hinter einem der Fenster ein Kopf auftauchte. Einer der beiden hatte beobachtet, dass sie zum Haus zurückgingen. Aus der Entfernung sah es aus, als wäre es Hamilton George gewesen.
Als Honey und Lindsey bei der Haustür ankamen, stand die schon weit offen. Inzwischen war Pamela nicht mehr die Unschuld vom Lande, die
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