Mord zur Geisterstunde
hatte Gloria jedenfalls Anna versichert.
Als sie um die Ecke gebogen war, winkten ihr zwei Frauen zu, die auch im Second Hand Rose aushalfen. Alle drei sprinteten sie los, als hätten sie gerade Frischzellen getankt.
»Ich hab die Schlüssel«, rief Gloria und schwenkte den Bund über dem Kopf.
Aufgeregt versammelten sie sich vor dem Laden. Gloria drehte den Schlüssel im Schloss. Die Tür ging auf. Ihnen drang der Geruch von Schimmel und alter Farbe entgegen.
Margaret, die ein wenig älter war als Gloria, zog das Näschen kraus. »Hier stinkt es ein bisschen.«
|218| »Kommt Joe damit klar?«, fragte Gloria und wandte sich an Linda, die mit einem sehr erfolgreichen Bauunternehmer verheiratet war.
»Kinderspiel«, antwortete Linda, deren sonnenstudiogebräunter Teint beinahe die gleiche Farbe wie ihr Kleid hatte. Mattes Orange wäre wohl die treffendste Farbbezeichnung. »Ich habe einen Mopp und einen Eimer mitgebracht. Könnten wir den Staubsauger aus dem Hotel leihen?«
»Ich wüsste nicht, warum nicht …«
»Was ist denn hier los?«
Schlagartig verebbte Glorias überschäumende Freude.
Honey stand im Türrahmen. »Was ist hier los?«
»Wir müssen doch unsere Ware irgendwo lagern. Gloria hat gesagt, wir könnten die Sachen hier unterbringen, bis wir einen neuen Laden gefunden haben.«
Honey warf ihrer Mutter unter hochgezogenen Augenbrauen einen scharfen Blick zu. Gloria Cross war wirklich unübertroffen, wenn es darum ging, alles wie selbstverständlich zu erwarten.
»Ich erinnere mich nicht, das je gesagt zu haben.«
»Du hast es angedeutet! Das mit Cameron Wallace hat ja nichts gebracht! Wir brauchen unbedingt einen Raum.«
Honey merkte, dass ihre Mutter ziemlich gereizt war.
»Ich habe nichts dergleichen gesagt.«
»Du würdest uns vor die Tür setzen?«
Honey warf den Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen. Die Männer aus dem Lastwagen schoben die hintere Klappe hoch. Das nutzte Gloria Cross aus. Sie tänzelte zu ihnen und übernahm das Kommando.
»Also Jungs, ihr seid ja wirklich die nettesten Männer der Welt. Könntet ihr bitte gleich die erste Fuhre auf den Bürgersteig schieben?«
Dieses bettelnde Flehen in der Stimme kannte Honey. Sie wusste auch, dass da eine Herausforderung an sie mitschwang: Entweder du hilfst mir, oder du hinderst mich dran. Und überleg mal, wie du dann dastehst.
Schwere Zeiten! Honey knirschte hörbar mit den Zähnen. |219| Wenn sie so weitermachte, müsste sie nächstens noch den zahnärztlichen Notdienst in Anspruch nehmen. Wie alles hatte auch dieses Problem zwei Seiten: Zum einen wollte sie nicht als Fiesling dastehen, zum anderen musste sie an ihr Geschäft denken. Sie musste Rechnungen bezahlen. Den Filialleiter ihrer Bank bei Laune halten.
Und da war noch etwas, das sie sich gar nicht gern eingestand. Sie würde schlicht durchdrehen, wenn ihre Mutter den Laden so nah beim Hotel aufmachte.
Mutter verärgern oder wahnsinnig werden? Da gab es kein Zögern. Die Entscheidung war getroffen. »Moment mal.«
Die Gebäude zu beiden Seiten der schmalen Straße verstärkten ihre Worte wie ein Megafon.
Die Männer blieben wie angewurzelt stehen.
Sie hätte darauf vorbereitet sein sollen, was jetzt geschah. Denn nun schaltete Gloria Cross auf Verteidigung um. Aus einer verborgenen Tasche kam ein Spitzentaschentuch zum Vorschein. Lippen wurden verzogen, das Kinn bebte verräterisch.
»Da seht ihr, wie mich meine Tochter behandelt! Wenn ich sie mal brauche! Ist das nicht typisch? Kinder sind ja
so
undankbar!« Die beiden Freundinnen ihrer Mutter murmelten mitleidige Worte. Honey war speiübel. Wie konnten die nur auf so was reinfallen? Ihre Mutter war die geborene Komödiantin und Puppenspielerin. O ja, Strippen ziehen konnte sie wie keine Zweite.
»Mutter!«
»Eine Tochter sollte ihrer Mutter helfen!«
Und so weiter und so weiter. Gloria jammerte und wrang das Taschentuch in den Händen, betupfte ihre Augen. Die Altersgenossinnen aus dem Second Hand Rose schauten teilnahmsvoll zu.
»Halt!«, rief Honey und streckte abwehrend die Hand aus. »Stopp, auf der Stelle! Na gut, dann bin ich eben die hartherzige Hannah! Ihr könnt euer Zeug hier lagern, aber nur bis …«
»Großartig!«
Sie ließen sie den Satz gar nicht erst zu Ende sprechen. Schon |220| wurde die Heckklappe wieder aufgemacht, die Ladeplattform heruntergelassen. Ein Kleiderständer nach dem anderen mit Designerklamotten aus zweiter Hand wurde durch die Ladentür geschoben.
Honey rang um
Weitere Kostenlose Bücher