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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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Littlemore hatte den Revolver in der Hand, feuerte aber nicht, obwohl er freie Schussbahn hatte. Stattdessen machte er einen großen Schritt nach vorn und ließ den Griff seiner Waffe auf Banwells Kopf niedersausen. Mit einem Aufschrei sank Banwell zu Boden.
    Einige Minuten später setzte Detective Littlemore den immer noch fast bewusstlosen George Banwell auf eine Stufe am Fuß der Treppe und fesselte ihn mit einem zweiten Paar Handschellen, das er sich von einem der Uniformierten geborgt hatte, ans Geländer. Banwell lief das Blut übers Gesicht. Ein anderer Polizist ließ das völlig konsternierte Ehepaar Acton aus dem Schlafzimmer.

     
    Im Players Club begrüßte die Garderobiere einen neuen Gast, der sie gleichfalls überraschte – nicht nur, weil er durch die Hintertür gekommen war, sondern auch, weil der Mann mitten im Sommer einen Überzieher trug. Für Harry Thaw war es ein besonderes Vergnügen, seine Freiheit in Räumen zu genießen, die eben jener Architekt entworfen hatte, den er vor drei Jahren ermordet hatte: Mr. Stanford White. Er stellte sich als Monroe Reid aus Philadelphia vor. Unter diesem Namen schloss er Bekanntschaft mit einem anderen Gast, der gleichfalls nicht aus der Stadt war. Diesem ausländischen Herrn begegnete er in dem kleinen Ballsaal, in dem Tänzerinnen auf einer erhöhten Bühne eine Vorstellung gaben. Harry Thaw und C. G. Jung verstanden sich auf Anhieb prächtig. Als Jung erwähnte, dass ihm Smith Jelliffe Zutritt zum Club verschafft hatte, verkündete Thaw begeistert, dass er mit dem Mann gut befreundet war, wenngleich er im Folgenden die Umstände dieser Bekanntschaft nicht unbedingt wahrheitsgetreu darstellte.

     
    »Gut gemacht, Detective«, sagte Bürgermeister McClellan im Wohnzimmer der Actons zu Littlemore. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich es nie für möglich gehalten.«
    Mrs. Biggs versorgte draußen die klaffende Wunde auf Mr. Banwells Schädel. Mr. Banwell war immer noch mit zwei Paar Handschellen gefesselt, von denen eins seine Arme hinter dem Rücken zusammenhielt, während ihn das andere ans Treppengeländer band.
    Mr. Acton hatte sich einen großen Drink eingeschenkt. »Können Sie uns vielleicht erklären, was hier eigentlich los ist, McClellan?«
    »Ich fürchte, die genauen Zusammenhänge durchschaue ich auch nicht so ganz«, erwiderte der Bürgermeister düster. »Ich kann immer noch nicht begreifen, dass George Miss Riverford ermordet haben soll.«
    Es klingelte an der Tür. Mrs. Biggs blickte zu ihren Arbeitgebern auf, die wiederum den Bürgermeister anschauten. Littlemore übernahm es, den Neuankömmlingen zu öffnen. Einen Augenblick später sahen alle im Zimmer, wie Coroner Charles Hugel eintrat, im festen Griff von Officer Jack Reardon.
    »Hab ihn erwischt, Detective«, bemerkte Reardon. »Er hatte schon alles gepackt und war fertig zum Ausfliegen, genau wie Sie gesagt haben.«

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
     
    In meinem Hotelzimmer klingelte das Telefon und weckte mich. Ich konnte mich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Ich wusste nicht einmal mehr genau, wie ich in mein Bett gekommen war. Der Empfang war am Apparat.
    »Wie spät ist es?«, fragte ich.
    »Kurz vor Mitternacht, Sir.«
    »Welcher Tag?« Der Nebel in meinem Kopf wollte sich nicht auflösen.
    »Immer noch Freitag, Sir. Entschuldigen Sie, Dr. Younger, aber Sie haben darum gebeten, verständigt zu werden, wenn Miss Acton Besuch bekommt.«
    »Ja?«
    »Eine Mrs. Banwell ist gerade auf dem Weg zu Miss Actons Zimmer.«
    »Mrs. Banwell? In Ordnung. Lassen Sie niemanden sonst hinauf, ohne mich vorher anzurufen.«
    Nora und ich hatten von Tarry Town aus den Zug zurück in die Stadt genommen. Wir wechselten kaum ein Wort miteinander. Als wir an der Grand Central Station ankamen, bat mich Nora, sie ins Hotel Manhattan mitzunehmen – nur um zu sehen, ob ihr Zimmer noch auf ihren Namen reserviert war. Wenn ja, konnte sie bis Sonntag dort bleiben, um nicht fürchten zu müssen, dass sie von ihren Eltern gegen ihren Willen in eine Anstalt eingewiesen wurde.
    Obwohl mir nicht ganz wohl bei der Sache war, erklärte ich mich einverstanden. Allerdings gab ich ihr zu verstehen, dass ich ihren Vater am Samstagmorgen unverzüglich von ihrem Aufenthaltsort in Kenntnis setzen würde. Bestimmt, so versicherte ich ihr, würde ihr irgendeine passende Lügengeschichte einfallen, mit der sie ihre Eltern noch vierundzwanzig Stunden hinhalten konnte. Was das Zimmer anging, sollte sie

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