Mordswald - Hamburgkrimi
er
regelmäßig meditierte, aber hier, wo ein Teil seiner Achtsamkeit von seiner
Umgebung in Anspruch genommen wurde, kehrten seine Gedanken immer wieder zu dem
letzten Gespräch mit Niels Hinrichsen zurück.
"Der böse Mann war dick", hatte er gesagt.
Daniel Vogler war alles andere als dick.
Hatte Niels Hinrichsen sich geirrt? Nachts, im Dunkeln, mit
der Angst im Blick? Oder hatten sie sich geirrt, und Daniel Vogler hatte Philip
Birkner gar nicht getötet?
Aber wer war es dann?
Diese Frage ließ Max keine Ruhe. Er schritt die breiten Wege
des Niendorfer Geheges ab, wartete geduldig, als er in der Nähe des
Spielplatzes in einen Stau geriet, wich Großfamilien mit Kind und Kegel aus und
ließ sich freundlich von einem weißen Golden Retriever beschnuppern. Keine zehn
Meter vor ihm diskutierte ein Paar um die dreißig seine Beziehungsprobleme, und
zwar in einer Lautstärke, dass jeder, der wollte, sich seinen Reim darauf machen
konnte.
Der erste Verdächtige, der ihm einfiel, war natürlich Frank
Jensen, aber der Mann hatte ein Alibi. Max war überzeugt, dass der
Programmierer nichts mit Philips Tod zu tun hatte. Es sei denn, er hatte ihm
und Lina letzten Samstag seinen Kater nur vorgespielt. Max runzelte die
Stirn.
"Verdammt noch mal, das ist unser Urlaub ", fauchte die Frau des
streitenden Paares.
Dann war da noch Lukas Birkner. Er war eindeutig dick, aber
er vergötterte seinen Bruder, und außerdem war er zum fraglichen Zeitpunkt im
Urlaub gewesen.
"Du weißt doch genau, dass ich mir das nicht leisten
kann!", grollte der Mann vor ihm zurück. "Ich bin selbständig, schon
vergessen?" Dann wurde sein Ton versöhnlicher, und er legte seiner
Partnerin den Arm um die Schultern. "Ach komm schon, Schatz, du machst dir
an der Ostsee ein paar schöne Tage, und ich besuche dich immer am Wochenende.
Das ist doch auch …"
Max blieb unvermittelt stehen, so dass ein kleiner Junge, der
direkt hinter ihm lief, fast gegen ihn prallte. Die Mutter nahm das Kind an die
Hand und zog es von Max fort, den sie dabei strafend ansah.
"Können Sie nicht aufpassen? Sie sehen doch, was hier
los ist!"
Max sah irritiert von der Mutter zu dem kleinen Jungen und
wieder zurück. "Tut mir leid", sagte er freundlich, doch die Mutter
war bereits weitergegangen, um den Anschluss an Mann und die anderen zwei
Kinder nicht zu verlieren.
Lukas Birkner vergötterte seinen Bruder. Seinen Bruder, der
ihn schon als Jugendlicher gedemütigt und bloßgestellt hat, der sich hinter
seinem Rücken über ihn lustig machte und sich am Telefon verleugnen ließ.
Seinen Bruder, der Erfolg hatte, wo Lukas gescheitert war, und ihm mindestens
einmal die Frau abspenstig machen wollte.
Max machte kehrt und rannte in Richtung Kollau.
Sie hatte das Telefon gerade aus dem Rucksack gezogen, als es
zu klingeln begann. Lina schaute auf das Display und musste grinsen.
"Lukas Birkner war's", sagte sie ohne ein Wort der
Begrüßung. Das verblüffte Schweigen am anderen Ende war wie ein Sahnehäubchen
für ihr Ego.
"Kannst du hellsehen?", fragte Max schließlich.
"Nee, aber du offensichtlich. Ich wollte dich gerade
anrufen." Sie spürte Lutz' Hand an ihrem Rücken und schüttelte sie ab.
"Ich war heute Morgen noch einmal mit Niels Hinrichsen
im Wald. Er hat den Mord tatsächlich beobachtet … und er sagt, der Täter sei
dick gewesen."
"Lukas Birkner ist dick", bestätigte Lina.
"Und er war zur Tatzeit vermutlich in der Stadt." Sie war
aufgestanden und hatte sich ein paar Schritte von Lutz entfernt, damit er das Gespräch
nicht mitbekam. Immerhin ging es dabei um vertrauliche Ermittlungsergebnisse.
"Woher weißt du das?"
Lina senkte die Stimme. "Von Katja Ansmann", sagte
sie ohne weitere Erklärung. "Und du?"
"Von einem streitenden Pärchen im Wald", sagte Max.
"Die haben mich auf die Idee gebracht. Anschließend habe ich Sonja Birkner
angerufen, und sie hat bestätigt, dass sie allein mit den Kindern in einem
Ferienhaus an der Ostsee war und ihr Mann nur an den Wochenenden gekommen
ist."
Lina streckte ihr Gesicht in den Wind. Am Himmel waren die
ersten weißen Schleier aufgetaucht, für den Abend war bereits wieder ein
Gewitter angekündigt. Ihr Blick fiel auf Lutz, der sich aufgesetzt hatte und
demonstrativ zur Elbe schaute anstatt zu ihr. Die Bierflasche in seiner Hand war
leer. "Wie geht es Sonja Birkner?"
"Besser. Sie ist wieder zu Hause, und sie klang ziemlich
entschlossen. Der Richter hat ihrem Mann verboten, die gemeinsame Wohnung
Weitere Kostenlose Bücher