Mordswald - Hamburgkrimi
wir uns um alles kümmern müssen, mit der Beerdigung und dem
ganzen Papierkram!" Gisela Birkners tadelnder Unterton ließ ihren Mann
wieder in sich zusammensacken.
"Was wollen Sie denn überhaupt von ihm? Sie haben doch
schon mit ihm gesprochen, das hat er mir erzählt. Er hat Ihnen doch schon alles
gesagt!" Ihre Stimme hatte einen schrillen, fast hysterischen Klang
bekommen.
Max lächelte die Frau sanft an. "Es haben sich noch ein
paar Fragen ergeben. Könnten Sie uns vielleicht den Weg zu Ihrem Häuschen
beschreiben? Und uns den Schlüssel ausleihen?"
"Aber warum wollen Sie denn …", begann Frau
Birkner, doch ihr Mann unterbrach sie.
"Ich komme mit", sagte er.
"Aber Klaus, du kannst doch jetzt nicht nach Hohwacht
fahren! Es ist fast vier, das dauert ja ewig, bis du wieder zu Hause bist. Denk
an dein Herz!"
Klaus Birkner tätschelte den Arm seiner Frau und stand auf.
"Lass man, mir geht es gut." Die Schweißperlen an seiner Oberlippe
straften seine Worte Lügen.
"Herr Birkner, es ist wirklich nicht nötig, dass Sie
mitkommen", sagte Max. Lina sah ihm an, dass er hin und her gerissen war.
Es war offensichtlich, dass Herr Birkner allein mit ihnen reden wollte, aber
sie wussten nicht, was sie in Hohwacht erwartete und konnten ihn schlecht
mitnehmen. "Sie können doch Ihre Frau jetzt nicht allein lassen."
Birkner schien ihre Unentschlossenheit zu spüren. "Wenn
Sie mich nicht mitnehmen, fahre ich alleine." Er warf seiner Frau einen
Blick zu. "Die Schwester meiner Frau müsste jeden Moment kommen."
Gisela Birkner hatte wieder angefangen zu weinen. "Sie kann das ohnehin
besser als ich … trösten und so."
Max seufzte verhalten.
Lina betrachtete einen Moment lang die zusammengesunkene
Gestalt neben sich im Fond des Wagens. Der plötzliche Elan, den er vor wenigen
Minuten oben in der Wohnung gezeigt hatte, war schon wieder verpufft. Klaus
Birkner wirkte müde, doch es war keine kurzzeitige Müdigkeit, weil die
aktuellen Ereignisse ihn überfordert und erschöpft hatten, sondern eine tiefe,
bis ins Mark gehende Müdigkeit, die sich über viele Jahre angesammelt und tiefe
Furchen in seinem Gesicht hinterlassen hatte. Der Motor summte gleichmäßig, als
sie gegen den Strom aus der Stadt hinausfuhren, und die Klimaanlage sorgte für
eine angenehme Kühle. Auf der Gegenfahrbahn staute sich der Verkehr. Vor der
Abfahrt hatte Max Hanno angerufen und ihn gebeten, das Ferienhaus in Hohwacht
von den Kollegen vor Ort unauffällig überwachen zu lassen. Hanno hatte in
seinem Kleingarten gesessen und geflucht, weil Max und Lina ihm, wie er sagte,
nicht einmal einen ruhigen Sonntag gönnten.
Klaus Birkner hatte das Telefonat teilweise mitbekommen, doch
er zeigte keinerlei Regung. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und die Augen
geschlossen.
"Erzählen Sie mir von Philip. Von Philip und
Lukas", sagte Lina leise.
Eine ganze Weile geschah nichts, doch schließlich schlug der
Mann die Augen auf und holte tief Luft. "Lukas hatte gegen Philip nie eine
Chance. Philip war der Ältere, der Bessere, der Liebling der Mutter, der Lehrer
und der Frauen." Er sah Lina an. "Sie kannten Philip ja nicht, aber …
er hatte so eine Art, mit Menschen umzugehen … Wenn er jemanden mochte oder
etwas von einem wollte, hat er sich sehr bemüht, war charmant, hat Komplimente
gemacht, hat dem anderen aufmerksam zugehört … Aber wehe, man gehörte zu denen,
die ihm nichts zu bieten hatten. Wie meine Frau und ich irgendwann. Oder wie
Lukas." Er wandte den Blick ab und sah aus dem Fenster. "Er konnte
einen ignorieren, bis man selbst glaubte, man würde nicht mehr existieren. Er
konnte so verletzend sein und einem das Gefühl vermitteln, der letzte Dreck zu
sein. Gisela … meine Frau hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Vor allem,
seit er mit Katja zusammen war, aber es lag nicht an Katja. Philip hatte sich
nicht verändert, er war schon immer so gewesen, aber nachdem er diese Katja
kennengelernt hatte, brauchte er uns überhaupt nicht mehr." Er wischte
sich verstohlen über die Augen. "Wie er seine Mutter behandelt hat! Da
steht sie stundenlang in der Küche und kocht und backt, weil der Junge kommt,
und dann schaut er sich den Braten nur naserümpfend an und sagt, so einen Fraß
bekäme er nicht mehr runter, er sei jetzt Besseres gewöhnt. Ich meine",
der Mann hob leicht die Stimme, "so was kann man ja vielleicht still für
sich denken, aber das sagt man doch nicht der Mutter ins Gesicht!"
Lina erinnerte sich, dass Katja Ansmann ihr heute
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