Mordswald - Hamburgkrimi
heißt, er ist
zwischen Viertel vor zwölf und Viertel vor eins gestorben."
Lina räusperte sich. "Hat sich die unbekannte Zeugin aus
der Waldschänke gemeldet?" Kopfschütteln bei Hanno, Schulterzucken bei
Sebastian. Nichts, obwohl seit gestern Abend im Regionalfernsehen und den
Zeitungen ausführlich über den Fall berichtet wurde.
"Entweder, sie hat's noch nicht mitbekommen, oder sie
war's", schlussfolgerte Sebastian.
"Du meinst, die Frau aus der Kneipe könnte Birkner
erschlagen haben?" Hanno machte ein interessiertes Gesicht.
"Wieso nicht? Vielleicht hat er sie mal abblitzen
lassen, und sie sinnt auf Rache. Bei dem Konzert macht sie sich an ihn ran,
lockt ihn in den Wald, verpasst ihm einen Tritt in die Eier, brät ihm erst mit
einem Stock eins über und dann mit was Härterem." Sebastian zog einen
Mundwinkel nach unten und sah Lina direkt an. "Solche Frauen soll's ja
geben, die es gar nicht gerne haben, wenn man sie nicht genügend beachtet."
"Es soll auch Frauen geben, die sich erfolgreich gegen
ihre Vergewaltiger zur Wehr setzen", sagte Lina, ohne Sebastians Blick
auszuweichen. Alle in dieser Runde hatten mitbekommen, wie Sebastian vor zwei
Jahren, als Lina neu ins Team kam, sie penetrant angebaggert hatte. Er hatte
erst Ruhe gegeben, nachdem Lina ihn bei einem gemeinsamen
Selbstverteidigungstraining gewaltig zur Schnecke gemacht hatte, so dass er
drei Tage später noch humpelte. Seitdem war er ihr in inniger Feindschaft
zugetan.
Ehe Sebastian etwas darauf erwidern konnte, sagte Max ruhig:
"Aber wie passen die vielen Spuren dazu? Und vergiss nicht, die Frau hatte
auch einiges getrunken."
Sebastian öffnete den Mund, doch Hanno unterbrach ihn.
"Max, was ist mit dieser Tanja Fischer?"
Kopfschütteln. "Weder telefonisch noch persönlich
erreichbar. Ich war heute Morgen noch einmal bei ihrer Wohnung und habe eine
Nachbarin aufgetan, die meinte, dass Frau Fischer häufig für ein paar Tage
verreise, vermutlich beruflich." Max sah auf seine Notizen. "Sie
beschreibt Tanja Fischer als mittelgroß und schlank, Anfang bis Mitte dreißig,
mit Brille."
"Hm", machte Hanno. "Das passt doch zur
Personenbeschreibung von der Unbekannten in der Waldschänke, oder?",
fragte er Lina.
"Ja. Aber auch auf schätzungsweise dreißig Prozent der
Frauen in Hamburg."
Hanno seufzte. "Also abwarten und weitersuchen.
Sebastian, was gibt es Neues von den U-Bahnhöfen?"
"Die Aufnahmen der Überwachungskameras sind gerade
gekommen", sagte Sebastian. Man hörte ihm an, dass er immer noch sauer
war. "Ich sehe sie mir gleich an."
"Gut." Er sah Max und Lina an. "Und was ist
mit diesem Jensen? Warum habt ihr ihn mitgebracht? Hat er gestanden?"
"Das nun nicht gerade, aber er kann sich nicht erinnern,
was er am Donnerstagabend getrieben hat. Und er hat Philip Birkner beschuldigt,
ihn ruiniert zu haben." Max fasste zusammen, was im Haus von Frank Jensen
geschehen war. Nach kurzem Zögern erzählte er von Jensens Fluchtversuch.
Hanno runzelte die Stirn. "Du hast also einen
Verdächtigen unbeaufsichtigt gelassen?"
"Hanno, der Mann war schwer verkatert und konnte die
Augen kaum offen halten. Und das Badezimmer lag im ersten Stock." Max
holte tief Luft. "Ich wollte ihm einfach die Chance geben, sich
zusammenzureißen, ehe wir ihn hierherbringen."
Sein Chef schüttelte den Kopf. "Du bist einfach zu weich
für diesen Job", sagte er, nur halb im Scherz.
"Besser zu weich als zu hart", sagte Max leise.
Kurz darauf saß er zusammen mit Lina dem Verdächtigen in einem
der Vernehmungszimmer gegenüber. Jensen trug Hemd, Anzug und Schuhe, dazu hatte
Max ihm ein Paar von seinen eigenen Socken geliehen, von denen er stets ein
Ersatzpaar in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte. Jetzt wirkte er
leidlich wie ein normaler Mensch und hielt sich an einem Kaffeebecher fest, den
Lina ihm in die Hand gedrückt hatte. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Teller mit
zwei Brötchenhälften, die er beäugte, als wüsste er nichts damit anzufangen.
Als er zögernd nach der ersten Hälfte griff, vorsichtig ein kleines Stückchen
abbiss und langsam kaute, stand Max auf und schaltete das Licht ein. Es hatte
zu regnen begonnen, und die Vernehmungsräume lagen nach Norden raus.
Er schaltete das Tonbandgerät ein und nannte seinen und Linas
Namen sowie das Datum.
"Herr Jensen, wir vernehmen Sie heute als Zeugen im
Mordfall Philip Birkner. Ich weise Sie darauf hin, dass Sie nichts sagen
müssen, womit Sie sich selbst belasten würden. Machen Sie von
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