Mordwoche (German Edition)
ordentlich aufgeräumt, gearbeitet hatte Karl gestern Abend also nicht. Ihr Blick fiel auf den Papierkorb neben dem Schreibtisch und sie nahm sich eines der zerknüllten Papiere heraus. „Liebe Susanne, es tut mir leid. Ich bin ein alter Trottel...“ Auch bei den restlichen Zetteln handelte es sich um Briefanfänge, die Karl verworfen hatte. „Liebe Susanne, in meinem Herzen bist du immer meine Tochter. Kinder sind das größte Glück für ihre Eltern und ich hoffe, dass du mich irgendwann verstehen kannst.“ Auch an Katrin hatte Karl offensichtlich geschrieben. Über seine Gefühle zu sprechen gehörte noch nie zu den Stärken des Autohaus-Chefs und so fanden sich auch etliche angefangene Briefe an die jüngere Tochter im Papierkorb. „Liebe Katrin, denke nicht schlecht von deinem Vater und verzeih mir, dass ich...“ Elfi konnte sich keinen Reim darauf machen, was Karl dazu bewogen haben könnte, diese Briefe zu schreiben. Hatte er die Briefe überhaupt beendet oder es bei den unbeholfenen Versuchen, die im Papierkorb gelandet waren belassen? Elfi zog die Schubladen des Schreibtischs auf und fand in der obersten Lade die Briefe an die Töchter. Seltsam, dachte sie. Warum hatte Karl Briefe verfasst, die erst nach seinem Tod zugestellt werden sollten? Elfi legte die Briefe wieder zurück an ihren Platz. Sie würde eine Gelegenheit finden, sich über den Inhalt Klarheit zu verschaffen. Als sie die unterste Schublade aufzog, stockte ihr der Atem. Dort lag eine Pistole! In Karls Schreibtisch lag ein Revolver! Elfi traute ihren Augen nicht. Warum hatte ihr Mann eine Waffe? Und warum wusste sie nichts davon? Was wollte er mit dem Ding? Mit zitternden Fingern schob Elfi die Schublade wieder zu und zuckte vor Schreck zusammen. Sie hatte Karls Schritte auf der Treppe gehört! Gleich würde er in der Diele sein und sie im Arbeitszimmer entdecken. Er durfte sie auf gar keinen Fall hier sehen! Plötzlich hatte Elfi Angst vor ihrem Mann. Er war nicht mehr der kranke schwache Karl, der sich von einem Arzttermin zum nächsten schleppte. In seinem Schreibtisch lag eine Pistole! Würde er die Waffe gegen sie richten?
Elfi sah sich in dem Zimmer um . Es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Panik stieg in ihr auf. Vorsichtig schob sie den Schreibtischsessel zurück. Jetzt bloß kein verdächtiges Geräusch machen! Ihr Herz hämmerte so hart gegen ihre Rippen, dass sie schon befürchtete, dieses Geräusch könnte sie verraten. Auf Zehenspitzen schlich sich Elfi an die Wand und stellte sich so hin, dass sie verdeckt werden würde, sobald ihr Mann die Tür ganz öffnete.
Ihr Mann hatte anscheinend nicht vor, ihr Geständnis einfach so hinzunehmen. Wenn er sie jetzt dabei erwischte, wie sie in seinem Arbeitszimmer herumschnüffelte, dann wollte sie lieber nicht daran denken, wie er reagieren würde. Elfi hielt den Atem an, die Schritte näherten sich der Tür. Elfis Blick fiel auf den Schreibtisch. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie hatte die zerknüllten Briefbögen auf der Arbeitsplatte liegen lassen! Wie ein Feuerstoß raste ein Adrenalinschub durch ihren Körper und verhinderte, dass ihr Kreislauf sie im Stich ließ. Sie sah, dass sich die Türklinke bewegte. Jetzt war alles zu spät! Elfi lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Sollte eben geschehen, was unvermeidbar schien! Doch nichts geschah. Als Elfi die Augen wieder öffnete, sah sie, dass die Tür zwar weiter geöffnet war als zuvor, aber Karl war ganz offensichtlich nicht ins Zimmer gekommen, sondern hatte es sich anders überlegt. Elfi wusste, dass sie keine zweite Chance bekam und nicht zögern durfte. Sie knüllte die Bögen wieder zusammen und schmiss sie in den Papierkorb. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Karl nicht in der Diele stand, zwängte sie sich durch den Türspalt. Unbemerkt gelangte sie nach oben und verharrte mit klopfendem Herzen auf der Treppe, um zu hören, was weiter geschehen würde.
Karl war offensichtlich in die Küche gegangen. Zwischendurch verschwand er kurz im Arbeitszimmer und telefonierte, um dann wieder in die Küche zu gehen. Zehn Minuten später verließ er das Haus und Elfi konnte aus dem Fenster oben im Flur erkennen, dass er in ein Taxi stieg. In der Küche fand Elfi die Spuren seines Frühstücks. Als sie noch einmal ins Arbeitszimmer zurückging und im Schreibtisch nachsah, stellte sie fest, dass der Revolver verschwunden war ebenso die beiden Briefe an die Töchter.
„Du Arme, wie konnte
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